Fotos: © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest | Artikel: Sven Goldmann
21. Regiotalk vom 13.03.2024 im "ZEIT IST KNAPP"
KREATIVHUBS STATT LEERSTAND - KUNST UND KULTUR AUF UNGENUTZEN FLÄCHEN
Aus LeeRstand im Einzelhandel kann eine "Win-Win-Win"-Situation geschaffen werden. Wie genau, wurde im Rahmen des 21. RegioTALK des RIK Berlin Südwest diskutiert.
Am frühen Abend mischt sich junges und jung gebliebenes Volk unter die Kunst. Kreischende Kinder kurven um Skulpturen herum und vorbei an Wänden, die großflächig mit Fotos und Gemälden behangen sind. In der Mitte tanzen Männer und Frauen. Es ist Salsa-Abend im Erdgeschoss des Schloss-Straßen-Centers, was auch ein Stockwerk weiter oben schwerlich zu überhören ist, wo der Regionalinkubator Südwest (RIK) gerade seinen 21. RegioTALK abhält.
RIK-Chef Juri Effenberg hat in eine ganz besondere Location geladen. Nichts gehört so sehr zum Berliner Südwesten wie die Schloßstraße, und wer weiß schon, dass dieses kleine Stück nicht in Steglitz liegt, sondern in Schöneberg. Juri Effenberg schaut durch die riesigen Panoramascheiben hinab auf den Walther-Schreiber-Platz und verkündet: „Sagen wir mal so: Das Center ist das perfekte Eingangsportal zur Steglitzer Einkaufswelt.“ Eine aktuelle Nachricht lässt die Veranstaltung noch einmal in einem anderen Licht erscheinen, nämlich die Insolvenz des Schloss-Straßen-Centers. Doch jedem Ende wohnt ein Anfang inne, und Leerstand bedeutet nur dann Stillstand, wenn es keine guten Ideen zur Neu-, Um- oder Zwischengestaltung gibt. In diesem Sinne widmet sich eine illustre Diskussionsrunde dem Thema „Kreativhubs statt Leerstand – Zwischennutzung als Antwort auf den Flächenmangel für Kunst und Kultur in der Großstadt“.
Ende des vergangenen Jahres hat das Projekt mit dem schönen und doppeldeutigen Namen Zik die ehemalige Verkaufsfläche des Modediscounters Primark bezogen. Zik steht wahlweise für „Zentrum für internationale Künste“ oder „Zeit ist knapp“, und beides fügt sich gut in das Thema des Abends. „Unser Konzept für die Nutzung des temporären Leerstands schafft eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten“, sagt Marvin Yam vom Zik. Erstens profitiert der Eigentümer, dessen Immobilie kostensparend mit Leben gefüllt wird. Zweitens freut sich der Bezirk, weil er mehr Kultur anbieten kann. Und, drittens, haben die Künstler einen weiteren Ort, an dem sie kreativ werden können. Denn in Berlin fehlt es ja nicht an Kultur, sondern an Plätzen, an denen sie präsentiert und verwirklicht werden kann. „Und wer bezahlt das alles?“, fragt eine Frau aus dem Publikum? Das kommt darauf an. Im konkreten Fall finanziert das Zik die Kosten für Energie und Wasser, etwa über staatliche Zuschüsse, die Einnahmen der kleinen Bar im Erdgeschoss und die Ausrichtung größerer Events im ersten Stock.
Für die Umsetzung neuer Konzepte braucht es kreative Initiatoren, bereitwillige Investoren – und Moderatoren an der Schnittstelle zwischen beiden Welten. Zum Beispiel Eva Nieuweboer, sie ist ein paar Ecken weiter in Friedenau groß geworden und arbeitet als Kulturmanagerin für den Kölner Projektentwickler Pandion. Sie ist in beiden Welten zu Hause und bedauert es, dass es zuweilen am gegenseitigen Verständnis fehlt. Denn Kulturschaffende seien nicht per se laut und rücksichtslos, und wer hat eigentlich die Mär in die Welt gesetzt, dass Unternehmer immer böse Immobilienhaie sind?
In das Ressort der Kulturmanagerin fällt die Zwischennutzung von Objekten vor einem möglichen Abriss oder Umbau. „Bis irgendwann etwas Neues entsteht, können sich Künstler aus dem Kiez austoben“, sagt Eva Nieuweboer und erzählt dem staunenden Publikum, was sie schon so alles auf den Weg gebracht hat. In jüngster Vergangenheit engagierte sie sich mit Pandion etwa in der Kreuzberger Prinzessinnenstraße und stellte dort ein ehemaliges Autohaus zur Umwandlung von künstlerischer Energie zur Verfügung. Ein anderes Mal wurde ein Tiny House auf einem Parkplatz zum mobilen Tanz-, Ton- und Coaching-Studio umgewidmet. Kunst braucht Raum und Fantasie ist alles – während der Corona-Epidemie tat es auch ein zur kreativen Gestaltung freigegebener Bauzaun.
Nicht alle Wünsche lassen sich sofort erfüllen. Wände zum Aufhängen von Bildern sind leichter zu beschaffen als Räumlichkeiten, wie sie Yvon Fragniere zum Inszenieren seiner Kunst braucht. Der Schweizer ist als Artist auf hohe Decken und tragfähige Konstruktionen angewiesen. „Für Luftakrobatik sind viele Räume einfach nicht hoch genug“, sagt Yvon Fragniere. „Zum Training können wir bei Sportklubs unterkommen, aber bei Veranstaltungen vor Publikum stoßen wir an unsere Grenzen.“ Eva Nieuweboer entgegnet: „Auch so etwas fördern wir gern. Solange niemand diskriminiert wird, machen wir uns für alles stark“, und wer die emsige Kulturmanagerin an diesem Abend in ihrem Element erlebt, der hegt keinen Zweifel daran, dass sie auch für die Luftakrobaten eine Lösung finden wird.
Neben ihr auf der Bühne steht Patrick Steinhoff und hört interessiert zu. Als Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Steglitz-Zehlendorf mag er der für die Kultur zuständigen Kollegin Cerstin Richter-Kotowski nicht ins Ressort hineinreden und nimmt doch wertvolle Anregungen mit ins Rathaus: „Es geht ja auch darum, lebhafte Einzelhandelszentren zu haben, und da ist es natürlich von Vorteil, wenn die Kunden nicht nur konsumieren, sondern auch Kultur genießen können.“ Steinhoff weiß, wie knapp der Platz dafür an kommerziell geprägten Orten wie der Schloßstraße ist. Umso mehr hat er sich über den wuseligen Empfang am Walther-Schreiber-Platz gefreut, über die skatenden Kinder und die Salsaklänge, die auch später am Abend noch über die verwaisten Treppenhäuser ihren Weg hinauf finden in die Diskussionsrunde. „Da merkt man, dass die Schloßstraße lebt, und das fühlt sich sehr gut an.“
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Trubel im Schloss-Straßen-Center nicht immer auf Gegenliebe stößt. Marvin Yam erzählt von einem Kunstliebhaber, der sich beim Betrachten der Bilder und Skulpturen von skatenden Kindern gestört fühlte. „Das ist ja die reine Anarchie hier“, habe der Mann moniert, worauf ein anderer Besucher erwiderte, dass Kunst und Anarchie doch ganz gut zueinander passten. Da wetteifert lautes Gelächter mit den Salsaklängen im Schloss-Straßen-Center, und Juri Effenberg sorgt dafür, dass auch die Wirtschaft nicht zu kurz kommt. Der RIK-Chef verweist auf konjunkturfördernde Effekte für den benachbarten Spielzeugladen, „denn bei dem sind jetzt immer öfter die Inline-Skates ausverkauft!“ Könnte es eine schönere Schluss-Anekdote geben an diesen anregenden Abend.