Fotos: Bernd Elmenthaler, Autor: Sven Goldmann
Ernährungswende - Warum wir unseren Lebensmittelkonsum verändern müssen
Eine Ernährungswende gibt es nicht zum NulltarifBeim 20. RegioTALK wird über die Zukunft des Lebensmittelkonsums diskutiert
Es gibt ein kleines Jubiläum an diesem milden Winterabend in Dahlem. Zur Aufführung kommt der 20. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK), und das in einer Location, die wie gemalt wirkt für diesen besonderen Anlass. Die Runde widmet sich dem Thema: „Ernährungswende. Warum wir unseren Lebensmittelkonsum verändern müssen.“ Wo könnte darüber besser diskutiert werden als in einem Haus mit dem schönen Namen Culinarium?
Das Culinarium war mal ein Pferdestall und beherbergt heute eines der beiden Museen auf dem Gelände der Domäne Dahlem. Die hier gezeigte Dauerausstellung heißt Vom Acker bis zum Teller und trifft damit ganz gut den Ton des Abends. Es geht darum, die Produktion von Lebensmitteln ökologisch und gesellschaftlich vernünftiger zu gestalten, ohne negative Folgen für Gesundheit und Umwelt, mit regionalem Anbau als Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise. Genauso, wie es die Domäne Dahlem handhabt. Als Bioland-Betrieb ist Deutschlands einziger Bauernhof mit U-Bahnhof bemüht, alle Tiere so artgerecht wie möglich zu halten, auf dass am Ende auch der Verbraucher profitiert. Im Hofladen der Domäne gibt es Fleisch und Eier aus eigener Produktion.
Als Moderator springt der frühere RIK-Chef Professor Frank Schaal für seinen kurzfristig erkrankten kommissarischen Nachfolger Juri Effenberg ein, und es trifft sich gut, dass er dieses Comeback ausgerechnet seinem erklärten „Berliner Lieblingsort“ gibt. Das Thema des Abends liegt dem Geschäftsführer der Domäne am Herzen. „Wir brauchen die Ernährungswende“, sagt Steffen Otte und listet die Gründe dafür auf: Die massive Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die fortschreitende Zerstörung der Umwelt, die Zunahme gesundheitlicher Folgen der Fehlernährung, die abnehmende Resilienz des gesamten Systems. So könne es nicht weitergehen
Zur wissenschaftlichen Untermauerung hat sich der RIK geballten Sachverstand eingeladen, Frank Schaal spricht von einer „außerordentlich hohe Professorendichte“. Als erste ergreift die Professorin Martina Schäfer das Wort. Sie leitet als Geschäftsführerin das Zentrum Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin und verweist unbestechlich knapp auf die Folgen einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft: Hunger und Fehlernährung, den dramatischen Anstieg von CO2-Ausstoß, Energie- und Süßwasserverbrauch, den Verlust von Biodiversität. Dazu gebe es ein nur auf den ersten Blick widersprüchliches Auseinanderdriften von Symptomen in Sachen Ernährung: „Der Hunger auf der Welt wird immer größer, zugleich nimmt der Anteil von Übergewichtigen zu“, sagt Martina Schäfer.
Einen Ausweg verheißt die Planetary Health Diet, eine Art globaler Speiseplan für die Zukunft, von dem sich Experten und Expertinnen wie Martina Schäfer erhoffen, dass er die Gesundheit des Menschen und des Planeten nachhaltig schützen kann. Es geht vor allem darum, weniger tierische Produkte zu verzehren. Weg von Fleisch und Käse, hin zu Bio-Lebensmitteln und regionalen Produkten, auf dass der ländliche Raum gestärkt wird und stabile Wertschöpfungsketten entstehen. In diesem Sinne hat die Technische Universität sich in zwei Projekten engagiert, die auf regionaler Basis Kantinen bei der Umstellung auf Biofleisch und vegetarische Speisepläne unterstützt. Die Ergebnisse empfindet Martina Schäfer als ermutigend: „Die Kantinenbetreiber sind guten Willens und haben auch Spaß daran, neue Wege zu gehen. Aber sie brauchen auch Unterstützung, ganz allein werden sie es nicht schaffen.“ Eine Ernährungswende gibt es nicht zum Nulltarif.
Einen anderen Ansatz verfolgt der Professor Sascha Rohn in seiner alltäglichen Arbeit. Die von ihm definierte Wertschöpfungskette reicht von der Landwirtschaft über die Ernährungswirtschaft und die Gesundheitsforschung bis zum Verbraucher. Sascha Rohn widmet sich an der Technischen Universität der Lebensmitteltechnologie und bezeichnet sich mit ironischem Lächeln als der Elfenbeintürmler der Runde. „Bei Leuten wie mir arten Familienfeiern oft zu Consulting-Veranstaltungen aus. Alle haben sie Fragen: Lebensmittel sollen sicher sein, keine Chemie beinhalten, frisch und dennoch lagerfähig sein, gut aussehen authentisch wirken, naturbelassen und haltbar sein, gesund und wohlschmeckend.“ Da liegen Widersprüche auf der Hand.
Sascha Rohns Botschaft an diesem Abend lautet: Chemie in Lebensmitteln muss nicht unbedingt schlecht sein. Und nicht jedes Biosiegel verheißt automatisch Wohlbefinden. Natürlich sei überhaupt nichts gegen den Verzehr von Brokkoli mit den darin enthaltenen Senfölglycosiden einzuwenden, ganz im Gegenteil. Aber man möge sich hüten vor Verallgemeinerungen, etwa Rückschlüssen auf die Wirksamkeit im Kampf gegen Krebs, nur weil in einer Familie von Brokkoli-Fans seit drei Generationen niemand an einem Karzinom erkrankt sei. Die Wahrheit sei ein bisschen komplizierter. Nachhaltige Forschung müsse sich „auf Untersuchungen zur Aktivität von bioaktiven Substanzen und den tatsächlich konsumierten Verbindungen“ konzentrieren.
Wie die Professorin Martina Schäfer sieht auch der Professor Andreas Michalsen die Perspektive für eine nachhaltige Ernährungswende in einer Planetary Health Diet. Andreas Michalsen forscht am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité und hofft auf eine Art Game Changer: „Auf diese Weise kann man 10 Milliarden Menschen ernähren, den Planeten retten und uns alle gesünder machen.“ Ja, es gebe auch andere Probleme, die nach Lösungen verlangen, zum Beispiel die dramatischen Schäden durch konventionelle Motoren. „Aber Elektroflugzeuge wird es nun mal nicht so schnell geben.“
Eine Ernährungswende auf der Basis einer Einschränkung des Fleischkonsums lasse sich dagegen von heute auf morgen auf den Weg bringen. Die Lebensmittelindustrie berechnet bei der Produktion von Fleisch allzu oft nur die unmittelbar anfallenden Kosten, aber nie die Folgeschäden, etwa für das Gesundheitswesen, als da wären: Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz, Krebs oder Depression. Was ist, wenn das alles einfließen würde, Professor Michalsen? „Dann steigen die Preise um das zwei- oder dreifache.“