Fotos: Kübra Dural, Autor: Sven Goldmann
14. RegioTalk vom 25.09.2023 im Gutshaus Steglitz
Handel im Wandel - Nachhaltig, fair, rentabel?
Zwischen Klimagerechtigkeit und revolutionären Supermärkten
Beim 14. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest geht es um die Zukunft des fairen Handels
Später am Abend geht es um... faire Mäuse! Ein Anflug von Heiterkeit legt sich über den Rokokosaal im Gutshaus Steglitz. Dabei steht dieser 14. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) im Zeichen des Handels mit der Dritten Welt, und das ist eigentlich kein besonders lustiges Thema, weil dabei immer noch eine Menge Ungerechtigkeit mit im Spiel ist. Klimakrise, Naturkatastrophen, koloniales Erbe und so weiter. Aber bei wem würde die Vorstellung von fairen Mäusen nicht zumindest ein unterschwelliges Lächeln provozieren? Natürlich handelt es sich dabei nicht um Nagetiere, die so höflich sind und auf das Anknabbern von Käse, Kabeln oder Teppichen verzichten. Sondern um Computermäuse aus thailändischem Bioplastik und afrikanischem Lötzinn, hergestellt unter menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen. Gibt es alles schon, aber kaum einer weiß davon. Am Ende dieses unterhaltsamen Abends werden alle Gäste im Gutshaus ein wenig schlauer sein.
Die Gesprächsrunde widmet sich der Frage: „Handel im Wandel – nachhaltig, fair, rentabel?“ So ganz eindeutig lässt sich das nicht immer beantworten. Gleich am Anfang erzählt Lalida Große eine Geschichte von vermeintlich fair gehandelten Rosen im Angebot eines großen deutschen Discounters. Die RIK-Projektmanagerin Lalida Große führt als Moderatorin durch den Abend und überrascht das Publikum mit der Pointe, dass eben diese Rosen keineswegs alle fair gehandelt sind und allzu oft mit giftigen Chemikalien zulasten äthiopischer Arbeiterinnen besprüht werden. Das hat der Norddeutsche Rundfunk gerade aufgedeckt.
Die Rosen-Recherche fügt sich gut in das Narrativ von Silke Bölts vom Forum Fairer Handel. Sie verweist darauf, dass es vor allem der Globale Süden sei, der unter den allzu oft noch allzu einseitigen Bedingungen des Welthandels leide. Es gehe dabei auch um Arbeitsbedingungen, vor allem aber um die Folgen des Klimawandels, der im Globalen Süden viel stärker zu spüren sei als hierzulande. Silke Bölts definiert den Klimawandel nicht nur als Umweltproblem, sondern auch als ethisches Dilemma: „Wir müssen über Gerechtigkeit reden. Über Gerechtigkeit zwischen denen, die den Klimawandel verursachen, und denen, die seinen Folgen ausgesetzt sind.“ Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der Globale Norden ganz andere technische und finanzielle Möglichkeiten habe, mit menschengemachten Naturkatastrophen umzugehen. Und wer höre eigentlich die Stimme der Umweltaktivistinnen und -aktivisten des Südens? Wer von denen habe schon die Möglichkeit, zu internationalen Kongressen zu reisen und die Medien auf sich aufmerksam zu machen? In diesem Sinne fordert Silke Bölts politische Unterstützung für Kooperativen im Süden und damit auch ein Mehr an Handelsgerechtigkeit. Veranstaltungen wie die noch bis zum 29. September laufende Faire Woche in Berlin sollen mehr sein als nur Folklore oder die Einladung zu einem etwas anderen Einkaufsbummel.
Immerhin: Es bewegt sich etwas. „In Deutschland steigt der Umsatz von fair gehandelten Artikeln im Einzelhandel“, sagt Thomas Fritz von der Fair-Handels-Beratung Berlin-Brandenburg. „Gerade erst haben wir die Grenze von zwei Milliarden Euro im Jahr geknackt, trotz des zwischenzeitlichen Rückgangs während der Corona-Epidemie.“ In vielen Segmenten aber tue sich der faire Handel noch schwer, vor allem in der Elektronik oder in der Computer-Technologie, mal abgesehen von den fairen Mäusen, die das Publikum im Rokokosaal so erheitert zur Kenntnis nimmt. Was am besten geht? Lebensmittel, vor allem Kaffee und Südfrüchte. „Aber auch Fair Fashion befindet sich im Vormarsch. Mittlerweile gibt es sogar Sportartikel, die fair gehandelt werden.“
Fair Fashion ist ein perfektes Stichwort für Vreni Jäckle. Sie hat vor drei Jahren die Plattform
Fashion Changers ins Leben gerufen und wirbt dort für Aufklärung, Weiterbildung und Vernetzung rund um faire Mode. Alles schön und gut, sagt eine Frau aus dem Publikum, „aber wie halten Sie es denn mit Biobaumwolle?“ Vreni Jäckle antwortet, dass sie als Medienschaffende nichts mit der Produktion zu tun habe, „aber natürlich klären wir bei Fashion Changers auf über den Unterschied zwischen konventioneller und Biobaumwolle.“ Ohnehin sei Aufklärung ein ganz entscheidender Aspekt ihrer Arbeit, in ihrem Online-Magazin, auf Social Media, Konferenzen und anderen Events. In ihrem Redeschwall fällt auch der schöne Begriff „Modeaktivimus“, er finde seinen Ausdruck im politischen Engagement der modebewegten Avantgarde, etwa auf Demonstrationen, denn: „Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Mode ein Teil des Problems ist.“ In diesem Sinne hat sie ein Buch geschrieben, es heißt „Fashion Changers: Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können.“ Passend dazu präsentiert Vreni Jäckle ein Foto, es zeigt sie auf einer Demonstration mit dem kampfeslustigen Transparent: „Fashion killt das Klima!“
Das wirkt ähnlich revolutionär wie das Konzept, mit dem Matthias Rudischer und seine Mitstreiter vom Robin Hood Store den Einzelhandel aufmischen wollen. Seine These lautet: „Wir zeigen, dass man antikapitalistisch wirtschaften kann. Aber: Keine Angst, wir nehmen niemandem etwas weg!“ Robin Hoods Bioläden funktionieren so: Jeder kann Mitglied werden, arbeitet dann drei Stunden im Monat hinter der Kasse oder sonstwo im Laden und bekommt dafür auf alle Einkäufe eine Ermäßigung von 20 Prozent. Und, besonders wichtig: „Wir sind eine Supermarktkette, die ihre Gewinne zu 100 Prozent zur Lösung globaler Probleme nutzt!“ Das Geld gehe als Spende an die Projekte „Coole Earth und „Give Directly“. 2019 wurde der erste Laden in Neukölln aufgemacht, seit kurzem gibt es nach zwischenzeitlichen Rückschlägen einen zweiten, ebenfalls in Neukölln, und Matthias Rudischer kündigt noch unter dem Kronleuchter im Rokoko-Saal des Gutshauses Steglitz die Neueröffnung von Nummer drei an, „sehr gern bei Ihnen hier in Steglitz-Zehlendorf“. Auf dass die Supermarkt-Revolution auch den bürgerlichen Südwesten erobert.