Fotos: Lalida Große, Autor: Sven Goldmann
12. Regiotalk am 26. Juni im Shakespeare Theater am Insulaner
Kultur als Wirtschaftsfaktor: Chancen und Herausforderungen für die Kulturbetriebe der Berliner Außenbezirke
Den ersten Beifall holt sich Kathrin Schülein ab, als sie aufzählt, wofür sie denn so alles zuständig ist in ihrem Theater. Also: „ITheaterleiterin, Dramaturgin, Gründerin“ und so weiter und sofort, ach ja, „Reinigungskraft bin ich natürlich auch“, muss ja auch einer machen und zur Not die Chefin persönlich. Lautes Gelächter mischt sich in den Beifall, weil Frau Tausendsasa das so schön vorgetragen hat. Aber richtig lustig ist es eigentlich nicht. Ja, der Kultur ging es schon mal besser, aber geht es ihr wirklich so schlecht?
„Wir wundern uns jeden Tag, wie wir es immer wieder schaffen, zu überleben“, ruft Kathrin Schülein ins Publikum, es sitzt beim zwölften RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) erstmals an der frischen Luft. RIK-Chef Professor Frank Schaal hat seine Gäste diesmal in das neue Sommertheater am Insulaner geladen. Passend dazu teilt er sich die Moderation mit Katharina Kwaschik aus dem Vorstand der hier beheimateten Shakespeare Company. Es geht um „Kultur als Wirtschaftsfaktor: Chancen und Herausforderungen für die Kulturbetriebe der Berliner Außenbezirke“. Da gibt es allerlei zu bereden, wie der Fall der putzenden Gründungsdramaturgin Kathrin Schülein aus dem Theater Ost in Adlershof zeigt.
Michal Ehrenteit aus Rahnsdorf war früher mal Sportlehrer und später Moderator im DDR-Kinderfernsehen. Seit Wendezeiten organisiert er als Eventmanager künstlerische Programme und moderiert sie selbst. So schwer wie in diesen Tagen sei es noch nie gewesen. „Die Budgets werden reduziert, gleichzeitig wollen die Künstler mehr verdienen, weil alles teurer geworden ist. Das passt nicht zusammen, es löst sich am Ende in weniger und schlechterer Kultur auf.“
Das neue Sommertheater am Insulaner residiert seit einem Jahr auf einer nicht mehr genutzten Liegewiese des Freibades nebenan. Ein Zwischending aus Zirkuszelt und Amphitheater mit fünf hölzernen Reihen im Halbrund, sie schmiegen sich zärtlich an den benachbarten Trümmerberg. So schön kann Kultur Jenseits von Mitte, Prenzlauer Berg oder Charlottenburg in Szene gesetzte werden. „Im letzten Jahr haben wir das Theater eröffnet“, erzählt Geschäftsführer Stefan Plepp. Nach überwundener Pandemie hatten die Berliner wieder richtig Lust auf Theater und füllten zuverlässig die runden Reihen im hölzernen Freiluftbau. Tempi passati. Ein Jahr später macht sich das Publikum rar, und es sind vor allem die billigen Plätze, die leer bleiben. Die kleinen Leute müssen das Geld zusammenhalten und zuerst sparen sie bei der Kultur. Kein Wunder, findet Stefan Plepp. „Wir messen uns hier mit Theatern, die hoch subventioniert werden.“ Jeder einzelne Platz in einem der drei Berliner Opernhäuser werde mit 250 Euro subventioniert. „Wir haben wir seit unserem Bestehen im Jahr 1999 ein einziges Mal 15 000 Euro von der Berliner Politik bekommen. Ist das noch gerecht?“
Ist es natürlich nicht, erwidert Manuel Schroeder vom Kunstverein Schlachtensee. „Die Kunst ist für uns alle so wichtig, dass sie vom Staat gefördert werden muss. Das muss in die Gesetze rein, vor allem aber muss es in die Köpfe rein. Wir müssen nicht von der Kunst leben, wir wollen von der Kunst leben, deswegen nehmen wir ja auch viele Dinge auf uns, die kein normaler Arbeitnehmer machen würde. Glauben Sie etwa, einer von uns hätte sich schon mal ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie viel Überstunden wir so machen?“ Manuel Schroeder sagt, er habe keine Lust mehr, sich mit den Antragsformularen des Senats herumzuärgern. „Wir gehen direkt auf die Wirtschaft zu, das hat sich bewährt.“ Auf diesem Weg sei er mit seinem Kunstverein auch an die neuen Ausstellungsräume in der Galerie Kairos gekommen, ganz in der Nähe vom Mexikoplatz.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Horst Schäfer mit seinem Unternehmen ART Protect aus Pankow. Vor dreißig Jahren hat er mal als Wertpapierhändler gearbeitet und hat sich dem Charme der Zahlen nie so ganz entziehen können. Denn die Kunst bestehe nicht nur aus nicht nur als malen, singen und tanzen, sie sei auch ein Spiel der Zahlen. „Wir haben in Berlin 186 Galerien, wir werden mit Kultur zugeschüttet. Da fragt sich der Kunde natürlich: Soll ich dafür auch noch bezahlen?“ Wenn ja, dann müsse es schon etwas Besonderes sein. Etwas, das dem Kunden entgegenkomme. Also hat Horst Schäfer sich darauf verlegt, Kunst zu verleasen oder zu vermieten. „Wir bringen die Kunst zum Kunden, hängen sie auf und holen sie wieder ab.“ In Pankow haben sie in einer alten Fabrikhalle einen Strand aufgeschüttet und präsentieren dort Künstlerisches. „Wir machen uns attraktiv, das ist unser Weg.“
Katharina Kwaschik fragt die Kollegin Kathrin Schülein aus Adlershof: „Wie siehst du denn die Situation der Theater in Deutschland?“ Resignierendes Achselzucken. „Es sieht nicht gut aus. Wir sind alle Kämpfer und geben nicht so schnell auf, aber die Situation ist dramatisch. Täglich höre ich, dass kulturelle Einrichtungen schließen. Die Auslastung der Theater liegt bundesweit bei 40 Prozent, die Energiepreise steigen teilweise um das Zehnfache. Dazu kommt die Inflation. Wir müssen uns wohl vom Theater verabschieden, wie wir es kennen.“ Wenn, ja wenn die Politik nicht eingreift. Kathrin Schülein hat sich so ihre Gedanken gemacht und will darüber im Herbst vor dem Berliner Abgeordnetenhaus referieren, es geht um eine Art Grundsicherung für Künstler. Auch Stefan Plepp von der Shakespeare Company hat die Politik im Blick, mit einer Initiative, die darauf abzielt, den freien Einrichtungen ein wenig von dem zukommen zulassen, womit die Etablierten, die Institutionen wie das Deutsche Theater oder die drei Opernhäuser so bedacht werden.
Die Politik kommt nicht besonders gut weg an diesem lauen Sommerabend am Fuß des Insulaners. Als Vertreter der Politik steht Carsten Berger auf der Bühne, er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen in der BVV von Steglitz-Zehlendorf und verweist erst einmal darauf, dass es sehr wohl einen Unterschied gebe zwischen Politik und Verwaltung. Die Politik wolle schon, aber das auch im Alltag durchzusetzen, sei eine ganz andere Sache. Dann schlägt er den Diskussionsteilnehmern vor: „Lassen Sie uns doch mal einen Termin mit dem neuen Kultursenator machen. Der soll mal erzählen, wie und warum und wem er Geld gibt.“ Der neue Senator heißt Joe Chialo, ein Musikmanager, der auch mal in der Jury für den Eurovision Song Contest saß. Mit der Berliner Kultur hatte er noch nicht so furchtbar viel zu tun. Aus dem Publikum fragt einer: „Was halten Sie denn von dem Mann?“ Allgemeines Räuspern auf der Bühne, keiner mag allzu Garstiges sagen, denn wer will es sich schon mit dem Senator verscherzen. Dann ergreift Stefan Plepp das Mikrofon: „Wir wollen mal hoffen, dass es der Kultur nicht so geht wie den Radwegen!“ Gelächter weht von der Holztribüne hinauf in den Abendhimmel.