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Mobilität der Zukunft als Herausforderung für die Stadtentwicklung

Fotos: © www.der-gottwald.de | Artikel: Sven Goldmann

5. RegioTalk, 16. Januar 2023 im Goerzwerk

Mobilität der Zukunft als Herausforderung für die Stadtentwicklung

Der fünfte RegioTalk befasste sich mit Mobilität in der Stadt und deren Herausforderungen. Ein sehr komplexes Thema, das viele unterschiedliche Aspekte beinhaltet. Einige Zukunftsaspekte wurden von drei Referenten mit unterschiedlichen Schwerpunkten beleuchtet.

Ganz zum Schluss meldet sich noch eine Dame aus dem Publikum. Sie ist schon etwas älter und hat beim 5. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) zwei Stunden lang interessiert zugehört, wie sich die Herren auf der Bühne sich das so vorstellen mit der „Mobilität der Zukunft“. Viel mehr Fahrräder, viel weniger Autos und gar keine Verbrennungsmotoren mehr. Alles schön und gut, findet die Dame, „aber was ist mit Leuten wie mir?“ Soll sie denn noch mit 80 auf dem Lastenrad zum Arzt oder zum Einkaufen fahren?

 

Das ist der Punkt, an dem solche Diskussionen oft scheitern. An einer Zukunft, die vermeintlich nur für jüngere Menschen geplant wird, obwohl die Gesellschaft immer älter wird. Lars Zimmermann pariert den als Frage verpackten Einwand so elegant, wie er den gesamten Abend über gehandhabt hat. Natürlich gehe es bei der Mobilität der Zukunft nicht darum, das Auto abzuschaffen. „Aber wir müssen den öffentlichen Raum neu verteilen, die Pyramide auf den Kopf stellen.“ Das mit der Pyramide ist ein schönes Bild: Bisher stand das Auto einsam an der Spitze, um die Plätze darunter balgten sich Fußgänger, Fahrräder, Scooter. So kann es nicht weitergehen. Knapp elf Milliarden Menschen werden zur nächsten Jahrtausendwende auf der Erde leben, in ihrer überwiegenden Mehrheit in Städten. Die Sättigung der Straßen mit Blech stößt an ihre Grenzen.

 

Lars Zimmermann kommt aus Hamburg, er hat vor zwei Jahren das Unternehmen „Cities for Future“ gegründet und vorher acht Jahre lang selbst in der Zukunft gelebt. In den Niederlanden, wo die Verkehrswende schon eingeleitet ist. Weil nichts so plakativ wirkt wie der Gegensatz von vorher und nachher, hat Zimmermann Fotos mitgebracht. Die knapp 100 Besucher im Club Goerzwerk staunen über den Wandel, den das Straßenland nehmen kann, wenn das viele Blech weg ist. In Amsterdam, Barcelona oder Kopenhagen haben die Menschen den öffentlichen Straßenraum zurückerobert, ihn grüner, luftiger, gefahrenloser, kurz: lebenswerter gemacht. Ein Anflug davon war in Berlin zu Corona-Zeiten zu erleben, als kaum Autos unterwegs waren und der Senat die Gelegenheit nutzte zur Anlage von Pop-up-Radwegen. Kostenpunkt: geschätzt 10-50 Tausend EUR/km. Für die gleiche Summe bekommt man sechs Zentimeter der geplanten Autobahn durch Friedrichshain und Lichtenberg.

 

Wie verläuft der Weg in eine urbane Zukunft ohne Auto-Dominanz? „Über den Protest“, sagt Lars Zimmermann. „In Amsterdam haben die Bürger aufbegehrt. Und es geht darum, die Stadt für das Auto unattraktiv zu machen.“ In Barcelona haben die Stadtplaner sogenannte Superblocks angelegt, in denen man so lange im Kreis fährt, bis auch der letzte Auto-Aficionado die Lust verliert. Wo sind die Superblocks von Berlin, Hamburg, München? „Es ist die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden“, sagt Axel Quanz, „da müssen wir uns schon fragen: Haben wir die richtigen Instrumente?“ Neulich war er in einer Großstadt in NRW, die den Ausbau ihres Radnetzes plant. „Die reden da über 1,8 Kilometer, die sollen 2029 fertig sein. Warum ziehen sich unsere Entscheidungsprozesse so lange hin?“

 

Der Diplom-Ingenieur Quanz widmet sich mit seinem Büro „Quanz & Partner“ seit 2006 der Mobilität der Zukunft. Er hat die „Radrouten Südwest“ durch Steglitz-Zehlendorf mitkonzipiert und weiß aus eigener Erfahrung: „Berlin ist toll! Aber es ist noch toller, wenn man es mit dem Fahrrad erkundet.“ Auf diesem Gebiet kennt sich Jonas Kremer bestens aus, der dritte Experte der von RIK-Chef Prof. Dr. Frank Schaal moderierten Runde im Club Goerzwerk. Der Lastenrad-Pionier Kremer arbeitet mit der Firma „Isicargo“ daran, Berlin zu einer Stadt des pedalangetriebenen Transports zu machen. Ein Lastenrad sei nun mehr als nur das Transportmittel, mit dem die Prenzlauer-Berg-Muttis ihre Kinder zur Schule kutschieren. „Natürlich kann ich einen Betonmischer nicht mit Pedalen auf den Weg bringen“, sagt Jonas Kremer, „aber wie oft braucht man den wirklich? Die Müllentsorgung in Parks lässt sich auch über Lastenräder organisieren“, ebenso ein Großteil der täglichen Wege von Handwerkern. Kremer erzählt von seiner Mutter, „die hat sich gerade ein Lastenrad angeschafft und macht damit ihre berufsbedingten Hausbesuche“. Auch auf die Frage der älteren Dame aus dem Publikum hat er eine Antwort parat: „Zu einem Lastenrad gehören Fahrer und Passagiere.“ Soll heißen: Wer seine Großeltern als Rad-Gondoliere durch die Stadt schaukelt, macht sie glücklicher und gibt ihnen neuen Spaß am Leben.