Fotos: © www.der-gottwald.de | Artikel: Sven Goldmann
7. RegioTalk, 20. März 2023 im Goerzwerk
Stadtökologie - Wie Gärten erlebbar sind
Kurz vor Schluss gibt es noch eine Frage aus dem Publikum. Um die 80 Frauen und Männer sind es an diesem Montag, als der Frühling offiziell Einzug hält in Berlin und einen Anflug von Freiluftlust bis hinauf in die Dachetage des Goerzwerks verbreitet. Zwei Stunden lang haben die Interessierten im Club Goerzwerk den Experten vorn auf der Bühne gelauscht und sich damit vertraut gemacht, wie so etwas wie biologische Vielfalt auch im steinernen Berlin Wirklichkeit werden könnte. „Stadtökologie oder wie Gärten erlebbar sind“, lautet das Thema beim siebten RegioTalk des Regionalinkubators Südwest, moderiert von Cornelis Hemmer, dem Gründer der Stiftung für Mensch und Umwelt. Auf besonderes Interesse stößt dabei das Projekt Waldgarten, und genau darauf zielt diese Frage kurz vor Schluss ab.
Es geht dabei um die nachhaltige Anpflanzung kleiner ökologischer Reservate in der Stadtlandschaft, um die Sorge, dass im halböffentlichen Raum essbare Früchte allzu früh abgeerntet werden können. Das wiederum könnte zu einem unbefriedigenden Ertrag führen – und damit im schlimmsten Fall nicht auch zum Entstehen zu vernachlässigender Stadtbrachen? „Wäre es denn nicht besser, beim Anbau von Pflanzen in den Waldgärten den ästhetischen Reichtum der Pflanzen in den Vordergrund zu stellen?“
Guter Einwand, findet Jennifer Schulz, sie arbeitet an der Universität Potsdam im Institut für Umweltwissenschaften und Geographie. Die Frage aus dem Publikum berührt das Grundverständnis der Stadtökologie und den tieferen Sinn dahinter, nämlich die lebenswerte Gestaltung des städtischen Raums über Kino, Theater, Kneipe hinaus, aber dazu später mehr.
Was sind Waldgärten überhaupt? Das zu definieren dürfte nicht nur dem Publikum im Goerzwerk schwerfallen, denn allzu verbreitet sind Waldgärten in Berlin noch nicht. Es gibt hier genau einen, angesiedelt in Britz, gar nicht so weit entfernt vom steinernen Ungetüm der Gropiusstadt. Hier die Zusammenfassung eines kurzen Grundsatzreferats von Jennifer Schulz: Ein Waldgarten ist kein Garten im Wald, sondern ein Stück Wald in der Stadt. Er besteht aus bis zu sieben Schichten vorwiegend essbarer Pflanzen, etwa Obstbäumen, Sträuchern, Kräutern oder Gemüsepflanzen. Alle werden sie so kombiniert, dass sie miteinander gedeihen und geerntet werden können. Biologisch gesehen fördern Waldgärten die biologische Vielfalt der Stadt, verbessern die Klimabilanz und schützen den Boden. Darüber hinaus haben Waldgärten aber auch eine soziale Funktion, denn durch die Einbeziehung der interessierten Nachbarschaft schaffen sie durch gemeinschaftliches Gärtnern neue Strukturen und ein Bewusstsein für den Umgang mit der Natur. Erste Erfolge können schnell zu sehen sein, aber ein nachhaltiger Waldgarten entsteht nicht von heute auf morgen. Richtig verstanden und umgesetzt ist das Projekt auf Jahrzehnte angelegt und schafft dabei, was Jennifer Schulz eine „essbare Wildnis nennt“ – wobei der Terminus „Wildnis“ als Gegensatz zu allem künstlich Gezüchteten zu verstehen ist.
In diesem Sinne preisen auch die weiteren Referenten dieses überaus anregenden Abends ihre Projekte an. Dominik Jentzsch von der Stiftung für Mensch und Umwelt macht sich für ein Konzept der „moderierten Wildnis“ stark und erläutert, warum im öffentlichen Grün der Verzicht auf Insektizide, Herbizide und Mineraldünger so sinnvoll ist – auch wenn das Ergebnis nicht immer dem entspricht, was die traditionellen Leitlinien als „ordentliche Grünanlage“ definieren. Michaela Shields vom Wissenschaftsladen Bonn informiert über PikoParks, auch sie bieten wie die Waldgärten eine Verbindung zwischen sozialen Bedürfnissen im Wohnumfeld und einer Stärkung der biologischen Vielfalt, nur eben eine Nummer kleiner. Einen ersten Berliner PikoPark hat die Stiftung für Mensch und Umwelt gemeinsam mit der Baugenossenschaft Freie Scholle in Reinickendorf angelegt. Noch ein bisschen kleiner macht es Corinna Hölzer, sie hat gemeinsam mit Cornelis Hemmer die Stiftung für Mensch und Umwelt gegründet. Für ihre „Trittsteinbiotope“ wirbt sie vielsagend mit dem schönen Claim „Kleinvieh macht auch Mist“. Und Bettina de la Chevallerie von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 arbeitet daran, mehr heimische Wildpflanzen in die in die hiesigen Gärten zu bringen. Dabei hat sie vor allem die entsprechende Ausstattung der Gartenmärkte im Blick, denn von irgendwoher müssen die städtischen Gärtner ja ihr Saatgut bekommen. Ziel sei es, „heimische Wildpflanzen zurück in unsere Gärten zu bringen“.
Genau das ist der Punkt für Jennifer Schulz bei der Beantwortung der eingangs gestellten Frage, ob denn Waldgärten unbedingt mit essbaren Pflanzen ausgestattet sein sollten. Ja, sollten sie! Denn Waldgärten stehen wie die gesamte Stadtökologie nicht nur für einen biologischen, sondern auch für einen sozialen und darüberhinaus für einen geradezu anthroposophischen Ansatz. „Mit den Stadtgärten wollen wir auch dazu beitragen, unsere Städte wieder essbar zu machen“, sagt Jennifer Schulz. „Wir können doch nicht über Nachhaltigkeit reden und von überall Lebensmittel einfliegen.“ In diesem Sinne gehe es ihr nicht darum, die Stadt über Waldgärten zu versorgen. Aber es könnte durchaus ein Bewusstsein für regionale Lebensmittel geschaffen werden. Und wenn die Stadtökologie dazu ihren Beitrag leistet, ist doch schon viel erreicht. Dieser Abend hat dazu beigetragen, wie der Beifall im Goerzwerk zeigt.