Fotos: © Pia Henkel / RIK Berlin Südwest | Artikel: Sven Goldmann
23. regiotalk am 28.05.2024 im goerzwerk
Vital im Job - Strategien für eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitsförderung
Beim 23. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest wird über den Weg zu einer erfolgreichen betrieblichen Gesundheitsförderung diskutiert
Die Sonne strahlt mit der Liebenswürdigkeit eines späten Frühlingsabends in den Club des Goerzwerks, da erzählt Dr. med. Christian Keßler von der ewigen Kälte. Von dem Freund aus Alaska, der zu Besuch nach Berlin gekommen ist, deshalb dränge die Zeit und er müsse jetzt leider aufbrechen, „oder gibt es noch irgendwelche Fragen?“ Keßlers kleiner Feierabendstress passt ganz gut zum Thema des 23. RegioTALKs des Regionalinkubators Südwest (RIK). Es geht um das Thema „Vital im Job – Strategien für eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitsförderung“, um Stress und all die anderen unangenehmen Auswirkungen, die das moderne Arbeitsleben bereithält. Bevor nun der Oberarzt Christian Keßler weiter gelöchert wird und nur mit Herzrasen oder Schweißausbrüchen zu seiner Verabredung kommt, wird er in allen Ehren vom RIK-Chef Juri Effenberg verabschiedet. Anerkennender Beifall legt sich über das Dachgeschoss des Goerzwerks: Kommen Sie gut nach Hause!
Christian Keßler absolviert den RegioTALK nach seiner normalen Arbeitszeit, und die ist ausfüllend genug. Als Oberarzt und Forschungskoordinator an der Charité und am Immanuel- Krankenhaus in Wannsee widmet er sich dem weiten Feld der psychomentalen Gesundheit. Das klingt nach einem Phänomen des dritten Jahrtausends und geht doch viel weiter zurück. Keßler zitiert Hippokrates, den Vater der modernen Medizin, mit dem schönen Satz: „Ein gesundes Umfeld ist der beste Schutz vor Krankheit“. Weil das leicht gesagt und doch schwer umzusetzen ist, haben Keßler und seine Kolleginnen und Kollegen das Lagom-Projekt aufgelegt. Lagom ist eine schwedische Vokabel und bedeutet so viel wie: Die goldene Mitte. Nicht zu viel und nicht zu wenig, im medizinischen Sinne: Balance statt Burnout.
Das Problem ist allgegenwärtig und längst auch bei der Generation der Babyboomer angekommen. Gerade erst hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Alarm geschlagen mit der Meldung, dass die Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenen Jahr auf 360.000 angestiegen ist. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind, nämlich die Babyboomer und ihre Eltern. Christian Keßler ergänzt diese Zahl mit einem Blick auf psychische Erkrankungen. Die darauf zurückzuführenden Fehltage sind in Deutschland im Jahr 2023 um 52 Prozent gestiegen.
Wie dramatisch die Situation mittlerweile ist, erfährt Christian Keßler jeden Tag an seinem Arbeitsplatz. Der Anstieg psychischer Krankheiten betrifft vor allem das Gesundheitswesen. Krankenschwestern und Pflegepersonal, aber auch Ärztinnen und Ärzte liegen bei den Fehltagen an der Spitze. Die Belastung sei einfach zu hoch, und sei keinesfalls allein der Ausnahmesituation in Folge der Corona-Epidemie geschuldet. Da habe es nur die breite Bevölkerung endlich mitbekommen.
Wie kann dem entgegengewirkt werden? Was kann man auf körperlicher, was auf mentaler Ebene machen? Hier setzt das Lagom-Projekt an. In zahlreichen Interviews fragten Keßler und seine Kolleginnen und Kollegen nach: Was ist los am Arbeitsplatz, im gesellschaftlichen und privaten Umfeld? Das Pilotprojekt veranschlagte neun Kursstunden pro Projektgruppe und legte seinen Schwerpunkt auf praktische Erfahrbarkeit, auf Austausch und Diskussion in der Gruppe. Es ging darum, Stressmuster zu erkennen und Handreichungen zu geben, etwa zu gesundem Pausenverhalten und wertschätzender Kommunikation. Am Ende der Pilotphase stehe jedenfalls die Erkenntnis: „Lagom ist machbar, es wurde von allen Teilnehmenden als hilfreich und relevant empfunden.“
So viel zum medizinischen Personal. RIK-Chef Juri Effenberg fragt nach: „Ist das denn auch auf andere Branchen übertragbar? „Grundsätzlich glaube ich das schon“, antwortet der Arzt. „Aber glauben ist eine Sache, Wissen eine andere“, da seien schon weitere Untersuchungen nötig. Dann verabschiedet er sich zu dem alten Freund aus Alaska und überlässt Marcel Skrzipczyk das Feld. Er leitet die Lehrakademie für Physiotherapie Berlin und widmet sich in seinem Vortrag der Macht der Haltung.
Das ist bewusst doppeldeutig formuliert, denn der aufrechte und schmerzfreie Gang setze auch eine entsprechende Leistung im Kopf voraus. „Es gibt nicht die eine perfekte Haltung, sagt Marcel Skrzipczyk. „Wichtig ist, dass Sie sich so verhalten, dass Sie sich gut dabei fühlen. Und: Bewegen Sie sich!“, aber daran scheitere es meist. An der inneren Haltung. Weil zu viele Menschen immer noch glauben, sie könnten Bewegung oder Therapie vernachlässigen, weil es wichtigere Dinge gebe. Deshalb sei es von entscheidender Bedeutung, dass Fitness-Elemente in den Arbeitsalltag integriert werden. „Es gibt ja durchaus Angebote für betriebliche Gesundheitsförderung“, sagt Skrzipczyk, „aber die Unternehmen müssen dafür auch Werbung machen. Was wir brauchen, sind Gesundheits-Influencer!“
Zum Beispiel jemand wie Miriam Hils, sie ist beim Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf für die Gesundheitskoordination zuständig. Im Goerzwerk erzählt sie von ihrem Alltag im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen, es sind immerhin 2100. Miriam Hils ist ständig unterwegs, denn allerlei Außenstellen wollen besucht und Angebote beworben werden. „Wir müssen weg von den klassischen Info-Veranstaltungen, auf denen am Ende alle einen Kugelschreiber bekommen.“ Es gebe da durchaus Erfolge, etwa eine deutliche gestiegene Zahl von Teilnehmenden beim jährlichen Firmenlauf im Tiergarten, und ganz besonders gern denken sie im Bezirksamt an die Reise zum weltweit größten Staffellauf in Kopenhagen zurück. „Diese Sportangebote nehmen wir sehr wichtig“, sagt Miriam Hils, „schließlich wollen wir uns als Arbeitgeber attraktiv machen!“
Das hätte ein schönes Schlusswort sein können, aber das gebührt an dieser Stelle Paulin Fiedler, die sich bei der AOK Nordost um das Gesundheitsmanagement kümmert. Für das Schlusswort zitiert sie den chinesischen Philosophen Konfuzius, der schon vor 2500 Jahren wusste, wie wertvoll eine angemessene Work-Life-Balance ist. Also sprach Konfuzius: „Tue, was du liebst, und du musst keinen einzigen Tag in deinem Leben mehr arbeiten!“