Fotos: © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest
von Maximilian Wölfl
Auf dem Weg zur „Schwammstadt“
Beim 26. RegioTalk wurden mögliche Schutzmaßnahmen bei Extremwetterereignissen diskutiert
Erbaut auf der höchsten Erhebung des Bezirks, 1886 in Betrieb genommen und mittlerweile Berliner Baudenkmal: Der Wetterturm auf dem Fichtenberg in Steglitz-Zehlendorf zählt fraglos zu den historischen Gebäuden im Südwesten Berlins – und diente am vergangenen Dienstag als Veranstaltungsort für den 26. RegioTalk des Regionalinkubators Berlin Südwest. Das passende Thema: Wetterresilienz – Umweltfaktoren als Geschäftsrisiko oder Wettbewerbsvorteil.
Die Eröffnung des informationsreichen Abends, moderiert von RIK-Projektleiter Juri Effenberg, wurde Daniela Schoster zuteil. Die Hausherrin führte die rund 30 Teilnehmenden bis in den sechsten Stock des Wetterturms, der einen kilometerweiten Blick über die Stadt gewährt. „Wir sind die einzige Station in Deutschland, die noch Augenbeobachtungen vornimmt. 2022 hat der Deutsche Wetterdienst alle Stationen auf Automation umgestellt. Weil wir aber kein offizieller Teil davon sind, laufen wir unabhängig. Darüber ist beispielsweise die Berliner Stadtreinigung sehr froh. Das automatische Distrometer des Wetterdienstes kann die Niederschlagsart nicht exakt erfassen“, erzählte Schoster. „Unsere Aufgabe ist es nicht nur, das Wolkenbild zu sichten, wir dokumentieren zum Beispiel auch, wann Niederschlag gefallen ist, ob er fest oder flüssig ist und welche Intensität er hat.“
Einer, der sich bestens mit Niederschlag und dem Umgang damit auskennt: Harald Kraft. Der Diplom-Ingenieur setzte mit seinem 1985 gegründeten Ingenieursbüro seither zahlreiche Bauprojekte mit Regenwasserbewirtschaftungskonzepten um – darunter etwa die Wohnsiedlung an der Berliner Straße 88 in Berlin-Zehlendorf: Auf zwei Hektar wurden hier bereits vor der Jahrtausendwende unter anderem eine Regenwassereinspeicherung mit 650 Kubikmetern sowie eine öffentliche Freifläche für einen Wasserlauf und einen Teich geschaffen. „Eine der schönsten und wirkungsvollsten ökologischsten Maßnahmen“, befand Kraft, der in seiner lebhaften Präsentation auch Bauprojekte von Berlin-Spandau über Teltow-Mühlendorf bis hin zur Mongolei vorstellte. „Das Wasser für die Einspeicherung und die Freiflächen kommt in der Berliner Straße von den Dächern der Wohnhäuser und wird anschließend durch bepflanzte Bodenfilter gereinigt“, berichtete Kraft stolz. Wieso man das gereinigte Regenwasser nicht auch für die Toilettenspülung in den Wohnungen nutzen dürfe, entgegnete ein Veranstaltungsteilnehmer. Dafür sei erwiesenermaßen ja bereits Grauwasser ausreichend. „Das ist ganz einfach: Mit den Preisen der Berliner Wasserbetriebe konnten wir bisher nicht konkurrieren. Da besteht noch keine Notwendigkeit, darüber nachzudenken“, befand Kraft und fügte mit einem Augenzwinkern an: „Vielleicht braucht es dafür noch ein trockenes Jahr.“
In Kindheitstagen Anwohner in der Berliner Straße 88 war Louis Kott von der Regenwasseragentur Berlin. „Vielleicht kommt daher meine Begeisterung für das Thema Wasser“, scherzte Kott, der in seinem Vortrag ausführte, wie sich die Ressource Regen mehrwertstiftend nutzen lässt und die Millionenmetropole Berlin generell mit Witterung umgeht: „Wir haben mit zwei Extremsituationen zu kämpfen. Zum einen zu viel Regenwasser in Folge von Starkregenereignissen sowie das komplette Gegenteil: wenig oder kein Regenwasser, wodurch Kleingewässer austrocknen und unsere Stadtvegetation leidet.“ Um sein eigenes Zuhause vor Wasserschäden zu schützen, empfiehlt die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt in ihrem Flyer „Krass, ist das nass!“ unter anderem die Anbringung von Schwellen oder Stufen an Eingängen, Kellerfenstern und Lichtschächten. „Auch der Einbau einer Rückstausicherung oder die Erhöhung von Lichtschächten ist nützlich“, erzählte Kott. Zur Identifizierung von Senken auf dem eigenen Grundstück, die sich potenziell mit Regenwasser füllen könnten, dient die Starkregenhinweiskarte der Stadt Berlin, die grundstücksscharf eine topografische Senkenanalyse liefert. Kott: „So kann ich erkennen, ob es auf meinem Grundstück vulnerable Punkte gibt – zum Beispiel Senken in der Nähe meines Technikkellers oder ein nicht hochgemauerter Lichtschacht.“
Das Ziel Berlins sei es, sich sukzessive zu einer sogenannten „Schwammstadt“ zu entwickeln. Die vier Ankerpunkte der aktuellen Koalition: Abkopplung im Bestand, Netto-Null-Versiegelung, Erhalt der Kleingewässer und des Stadtgrüns sowie eine wassersensible Entwicklung neuer Quartiere. Regenwasser soll so künftig nicht mehr in die Kanalisation geführt, sondern auf einem Grundstück „direkt zur Bewirtschaftung“ genutzt werden, erklärte Kott. Damit soll auch die Überlastung der Kanalisation bei Starkregen vermieden werden. „Gerade bei Bestandsgebäuden lässt sich das nicht von heute auf morgen umsetzen. Dafür wurde die ‚Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWa-BE)‘ ins Leben gerufen“, so Kott. Diese greift bei Neubauten und Sanierungen.
Was ein Sturm genau mit sich bringt, wie mögliche Schutzmaßnahmen aussehen könnten und welche Auswirkungen der Klimawandel auf das Wetter hat, führte Dr. Nico Becker (Institut für Meteorologie, FU Berlin) aus: „Viele Folgen des CO2-Anstiegs sind relativ gut abschätzbar: Es wird im Sommer mehr Hitzewellen geben, der Meeresspiegel steigt an und die Ozeane versauern.“ Die Auswirkungen auf Stürme seien hingegen unklarer. „Weil die Zusammenhänge komplexer sind“, zeigte Becker auf. Mit „mittlerer Sicherheit“ könne man sagen, dass die Häufigkeit starker Winde und Stürme leicht zunehmen könnte. Zudem sei eine Mehrung von „schweren konvektiven Wetterlagen“ – sprich: Gewittern – mit „mittlerer Sicherheit“ vorauszusagen, so Dr. Becker. Zum Thema „Prävention von Sturmeinsätzen“ stellte Dr. Becker das Projekt „FORTEC“ vor, das die Deutsche Bahn zum Schutz ihres 33.400 Kilometer umfassenden Schienennetzes nutzt. „Anhand von Satellitendaten erkennt das Projekt umsturzgefährdete oder kranke Bäume“, so Dr. Becker. Diese könnten dann im Rahmen einer Durchforstung entfernt werden, bevor sie das Schienennetz beeinträchtigen.
Welche Fördermöglichkeiten privatwirtschaftliche Unternehmen ergreifen können, zeigte Christine Hellerström vom Kompetenzzentrum Natürlicher Klimaschutz (KNK) auf. Beim KfW-Umweltprogramm im
Rahmen des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz (ANK) haben Unternehmen die Chance, einen Zuschuss von bis zu 60 Prozent für natürliche Klimaschutzmaßnahmen zu erhalten. Das kann eine
Begrünung von Gebäuden, eine Entsiegelung befestigter Flächen oder ein dezentrales, integriertes Niederschlags- und Wassermanagement sein. „Wir halten Ausschau nach Unternehmen, die den
Beantragungsprozess durchlaufen haben und uns von ihren Erfahrungen damit berichten können“, so Hellerström. Bis 2028 stehen im ANK über 3,5 Milliarden Euro für Maßnahmen des Natürlichen
Klimaschutzes zur Verfügung.
Eine kurze Fragerunde sowie zusammenfassende Abschlussworte von Moderator Juri Effenberg schlossen die knapp dreistündige Veranstaltung. Sicher ist: Der 26. RegioTalk des Regionalinkubators Berlin Südwest hat aufgezeigt, wie Unternehmen Umweltfaktoren als potenzielle Geschäftsrisiken wahrnehmen und gleichzeitig durch Maßnahmen zur Wetterresilienz nachhaltige wirtschaftliche Chancen nutzen können.
Wie Sie Ihr Zuhause oder Ihre Betriebsgebäude vor Starkregen schützen können und ob Ihre Region von Überflutungen bei Starkregen gefährdet ist, können Sie über folgende weitere Informationen herausfinden:
Fotos: © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest
von Maximilian Wölfl
Viel Raum für Gestaltung
Beim 25. RegioTALK wurde die Zukunft des Breitenbachplatzes diskutiert
Juri Effenberg hatte sich aufmunternde Schlussworte zurechtgelegt. „Ich habe die Hoffnung, dass wir gemeinsam die Stadt der Zukunft planen können und am Ende einen schönen Breitenbachplatz haben werden“, befand der Chef des Regionalinkubators Südwest (RIK) und beendete damit gleichzeitig den 25. RegioTALK des RIK am vorigen Donnerstag zum Thema „Mehr Platz in der Stadt – Möglichkeiten zur Neugestaltung des Breitenbachplatzes“. Ursprünglich hatte die Veranstaltung in den Räumlichkeiten der Künstlerkolonie am Breitenbachplatz stattfinden sollen. Aufgrund der hohen Nachfrage interessierter Anwohnerinnen und Anwohner wich der RIK kurzerhand jedoch in den Titania Palast aus. Insgesamt fanden rund 100 Teilnehmende den Weg in das traditionsreiche Kino an der Gutsmuthsstraße in Berlin-Steglitz.
„Bei so viel Interesse macht es nochmal ein Stück mehr Spaß“, freute sich Effenberg, der als Moderator einmal mehr durch die Veranstaltung führte. Der Einstieg in den knapp zweieinhalbstündigen Abend wurde Alexander Bittner mit einer Kurz-Präsentation zur Sozialraumorientierten Planungskoordination des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf (SPK) zu Teil. Neben einigen Hintergrundinformationen zur Organisationseinheit, Teil der Bezirksverwaltung Steglitz-Zehlendorf und bestehend aus vier Mitarbeitenden, berichtete Bittner besonders stolz von den umgesetzten FEIN-Maßnahmen (Freiwilliges Engagement In Nachbarschaften). Engagierte Bürgerinnen und Bürger, Akteure oder Initiativen aus dem Kiez können dabei Sachmittel zur Unterstützung ihres Engagements beantragen. Für die Verwirklichung kleiner Projekte stehen pro Antrag höchstens 2.000 Euro zur Verfügung. Vier Projekte brachten es in diesem Jahr in der Bezirksregion zur Umsetzung: So erhielt die Patmos-Gemeinde eine nachhaltige Regenwasserzisterne, die DRK Berlin Südwest wurde mit einem Wasserspender ausgestattet, am Paulsen-Gymnasium stehen nun Kleintierstallungen (Vogelschutz inklusive) und an der Matthäus-Gemeinde am Rathaus Steglitz wurde ein praktischer Geräteschuppen errichtet. Zum Abschluss seiner Präsentation schlug Bittner den Bogen zum Kernthema der Veranstaltung, dem Breitenbachplatz, und führte zu Siedlungsstruktur, Versorgung mit Grünanlagen und öffentlichen Spielplätzen sowie der Lärm- und Umweltbelastung am ehemaligen Anziehungspunkt im Südwesten Berlins aus.
Lutz Pietschker ist mit diesen Themen bestens vertraut. Die Bürgerinitiative des Breitenbachplatzes, dessen stellvertretender Vorsitzender Pietschker ist, setzt sich seit nunmehr zwölf Jahren intensiv mit der Zukunft des Platzes auseinander und formuliert eine klare Forderung: Die Autobahnbrücke muss weg. „Damit, dass ab Herbst oder Winter dieses Jahres ein Teilabriss erfolgen soll, haben wir einen Teilerfolg erzielt“, sagt Pietschker, gibt sich damit aber freilich nicht zufrieden: „Die komplette Brücke soll weg. Wir benötigen einen anderen Flächennutzungsplan.“ Pläne, wie der Breitenbachplatz in Zukunft aussehen könnte, gibt es zur Genüge. Die Idee der Bürgerinitiative: Es soll Wasser auf den Platz gebracht werden. „Bei fast jeder Bürgerbefragung wurde dieser Wunsch an uns herangetragen. Die BVG sieht ihren Tunnel, ihren Bahnsteig und ihr Gleichrichtewerk in Gefahr. Uns würde es aber schon reichen, wenn ein bisschen was plätschert“, schickt Pietschker voraus. Überdies müssten Baumbestand und Rasenflächen geprüft und dem künftigen Klima angepasst werden – es braucht mehr Grün- und Schattenflächen, so die Initiative. Geht es nach Pietschker und seinen Mitstreitenden, könnte der Platz zudem etwas mehr „Schmuckgestaltung“ und einen klareren Nutzungsplan vertragen – stets unter Berücksichtigung des Kinderspielplatzes, der Boule- und Tischtennisspielenden und entsprechenden Ruhezonen. „Im Augenblick werden derzeit sämtliche Gelder, die für die Pflege des Platzes zur Verfügung stehen, für die Sicherheit der Bäume aufgewendet“, so Pietschker, der ergänzt: „Unser absoluter Traum wäre ein kleines Sommercafé, angeschlossen an den Mitteleingang des U-Bahnhofs. Das wäre eine tolle Sache.“ Um dem Platz mehr Struktur zu verleihen, könne man thematische Schwerpunkte schaffen. „Der Hauptplatz könnte weiter als Treffpunkt dienen. Parallel dazu wäre ein Wissenschaftsforum um das Lateinamerika-Institut, ein Sportforum anschließend an den Sportplatz und ein Kunstforum in Anschluss an die Künstlerkolonie möglich.“
Im Zentrum der anschließenden Podiumsdiskussion mit Patrick Steinhoff (Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Bezirk Steglitz-Zehlendorf), Urban Aykal (Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt- und Naturschutz, Straßen und Grünflächen, Bezirk Steglitz-Zehlendorf) und Prof. Dr. Andreas Knie (Professor an der Technischen Universität Berlin für Soziologie, Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) stand indes die Zukunft des derzeit geschlossenen Autotunnels unter der Wohnanlage an der Schlangenbader Straße. Aykal bezog klar Stellung: „Wir benötigen eine verbindliche Antwort darauf, was mit dem Tunnel passiert. Diese Frage ist ausschlaggebend dafür, wie der Breitenbachplatz in Zukunft aussehen kann. Eine Sanierung und Wiedereröffnung des Tunnels wie in bisheriger Form wäre aus meiner Sicht katastrophal.“ Dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen den Bezirk in diese Angelegenheit zuletzt erstmals in Form eines Workshops mit einbezogen habe, sei eine gute Grundlage „für einen vernünftigen Weg“ – und stimme ihn optimistisch. Der 50-Jährige ergänzte: „Bei der Neugestaltung des Breitenbachplatzes, einem Filetstück Westberlins, sollte die Verkehrsberuhigung und eine deutlich bessere Aufenthaltsqualität Priorität haben.“
Steinhoff brachte derweil die Zukunft der Schildhornstraße ins Spiel: „Durch den Rückbau der Autobahnbrücke werden dort insgesamt 8.500 Quadratmeter frei. Seitens der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vernehmen wir den Wunsch, die frei werdende Fläche für Wohnraum zu nutzen. Wohnen ist aber nur dort möglich, wo auch die entsprechenden Gegebenheiten vorliegen. Fließt der Verkehr wieder wie vor anderthalb Jahren durch die Schildhornstraße, ist aufgrund der hohen Emissionswerte aus rechtlichen Gründen kein Wohnen möglich.“ Auf die Frage aus dem Publikum, wie die Bürgerinnen und Bürger mehr Einfluss auf die Transformation der Stadt nehmen können, erwiderte Steinhoff: „Da möchte ich an das Vertrauen in die eigene Verwaltung appellieren. Dafür haben wir Stadtplaner und Ingenieure. Klar ist: Es muss weitere Beteiligungsformate geben.“
Ein weiterer Einwurf der Teilnehmenden: Was passiert mit den massiven Rampen und Pfeilern der Autobahnbrücke? Bleiben diese bestehen, bestünde doch die ständige Gefahr, dass mittelfristig eine neue Brücke errichtet wird, gab ein Zuschauer zu bedenken. „Unsere Meinung ist eindeutig: Wir wollen keine Pfeiler auf dem Platz. Sie sollen so schnell wie möglich weg“, gibt Steinhoff die Richtung vor. Um den Rückbau anzugehen, müsse jedoch erst eine Umwidmung der Straße vollzogen werden, erläutert der Bezirksstadtrat.
Prof. Dr. Knie, der für seine mutigen Wortbeiträge Beifall erntete, wandte sich direkt an die zahlreichen Veranstaltungsteilnehmenden: „Ich möchte den Anwohnern Mut machen. Die Stadt hat sich verändert, fast 40 Prozent der Menschen gehen nicht mehr von Montag bis Freitag ins Büro – vielmehr sind sie orts- und zeitflexibel geworden. Die Stadt der Zukunft wird keinen Platz mehr für privat abgestellte Fahrzeuge auf öffentlichem Raum haben. All das wirkt sich auf den Verkehr aus.“ Prof. Dr. Knie schloss mit den Worten: „Die Entwicklung um den Breitenbachplatz kann ein Symbol für die Transformation der heutigen Gesellschaft werden.“ Um darauf mehr Einfluss zu nehmen, solle die Zivilgesellschaft mehr Öffentlichkeit für die Thematik schaffen. Um am Ende einen schönen Breitenbachplatz zu haben.
Die Verkehrs- und Machbarkeitsuntersuchung zum Breitenbachplatz und dem Rückbau der Autobahnbrücken finden Sie unter diesem Link:
Verkehrs- und Machbarkeitsuntersuchung Breitenbachplatz - Berlin.de
Fotos: © Pia Henkel / RIK Berlin Südwest
von Torsten Wahl
Chancenkarten für Berlin
Beim 24. RegioTALK wurden Strategien gegen den Fachkräftemangel diskutiert
Die große, repräsentative Kantine in der vierten Etage der Agentur für Arbeit Berlin Süd wird schon lange nicht mehr bewirtschaftet – es findet sich einfach kein Betreiber! Das Gebäude am Händelplatz war der logische und passende Treffpunkt für den 24. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) zum drängenden Thema „Herausforderung Fachkräftemangel – Wie können Unternehmen gutes Personal gewinnen und halten?“
Moderator Juri Effenberg begrüßte als ersten Referenten den Hausherren. Mario Lehwald, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Berlin Süd, beschrieb die besondere Situation in Berlin. Hier gibt es, anders als anderswo, noch einen Markt für Arbeitskräfte. In seiner Eigenschaft als „Hüter der Zahlen“ untermauerte Mario Lehwald diesen Befund. Die rund 200.000 Arbeitssuchenden in ganz Berlin, davon rund 66.000 in den Stadtbezirken Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Treptow-Köpenick, stellen ein besonderes Potential dar. Ihnen gegenüber stehen rund 21.000 offene Stellen in Berlin, davon gut 6.000 in den vier Südbezirken.
Das Beispiel Tesla, wo innerhalb von anderthalb Jahren 12.000 Menschen eine Stelle fanden, zeigt, dass dieses Potential durchaus genutzt werden kann – auch Arbeitslose aus den Berliner Süden fanden einen Job beim E-Auto-Hersteller in Grünheide. Als „schwierig“ beschrieb Lehwald den Ausbildungsmarkt in Berlin: Es gibt deutlich mehr Bewerber als Ausbildungsstellen – die Lücke von 30 Prozent sei eine große Herausforderung für seine Behörde. Im Schnitt beginnen die Berliner erst mit 21 Jahren ihre Ausbildung – da sieht Lehwald noch viel Luft nach oben. Nach wie vor preist er die duale Ausbildung als den „Königsweg“: Sie sei am nachhaltigsten und mache sich sofort für die Unternehmen bezahlt. Die Agentur für Arbeit fördert auch die Weiterbildung während der Beschäftigung und die Qualifizierung von Arbeitssuchenden vor der Beschäftigung. Mario Lehwald warb eindringlich darum, die zahlreichen Möglichkeiten und Förderungen der Agentur für Arbeit zu nutzen, verwies auf neue Ausbildungsberufe wie die Fachkräfte für Optik oder Digitale Wirtschaft: „Kommen Sie auf uns zu!“
Als Expertin für einen besonderen Weg zur Gewinnung von Fachkräften trat Catharina Bergk ans Podium: Sie arbeitet bei der Agentur für Arbeit beim Team „International Services“, wirbt selbst in Südamerika für den deutschen Arbeitsmarkt. Ihr Motto: „Make it in Germany“ – so heißt auch das Internet-Portal der Bundesregierung. Catharina Bergk verwies auf die Zahl von 400.000 ausländischen Arbeitskräften, die laut Vorschlag der Wirtschaftsweisen jährlich in Deutschland gebraucht werden, und konnte den Unternehmern im Raum schon erste Hinweise darauf geben, ob und wie das neue „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ dabei helfen kann. So wurden die Gehaltsschwellen für die Blue Card deutlich gesenkt, Bewerber können mit Sprachkenntnissen und einer abgeschlossenen Berufsausbildung Punkte sammeln: „Wer sechs Punkte hat, bekommt die Chancenkarte.“
Die Gewinnung ausländischer Fachkräfte gehört auch zu den Aufgabenbereichen von Julian Algner von der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). Der Manager für Public Affairs lieferte mit den Zahlen einer aktuellen Umfrage unter den Unternehmen viele Anregungen. So rangiert der Fachkräftemangel unter allen Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung klar auf Platz Eins. Fast drei Viertel aller Unternehmen können offene Stellen längerfristig nicht besetzen. Aufschlussreich sind auch die Gründe aus Sicht der Betriebe: So leidet das Gastgewerbe unter einem schlechten Image, während IT-Firmen darüber klagen, dass sie die geforderten Gehälter und Benefits nicht zahlen können. Zu den größten Herausforderungen zählt neben dem Ausscheiden in die Rente die Abwerbung durch andere Firmen. Kritisch sah Julian Algner den Fakt, dass weniger als jede dritte Firma in neue Technologien investieren will: „Das ist viel zu wenig!“
Auf moderne Technologien der Künstlichen Intelligenz bei der Suche nach Fachkräften baut die Firma Connectoor. Geschäftsführer Oliver Reinsch wendet sich an kleine und mittlere Unternehmen, die keine eigene „Recruiting“-Abteilung haben und wirbt mit dem Slogan „Happy Recruiting“. Das klingt schon mal anders als das harte „Rekrutieren“ – denn die Kandidaten können ja nicht abkommandiert, sondern müssen umworben werden. Oliver Reinsch setzt darauf, die Sichtbarkeit von kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern: Sie sollten ihre Werte klar definieren, offen und ehrlich mit den Bewerbern kommunizieren und ihre Benefits nicht erst am ersten Arbeitstag präsentieren.
Reinsch hatte weitere Tipps parat, als Moderator Juri Effenberg zum Finale alle vier Referenten nach vorn zur Fragerunde bat. Er riet Mittelständlern, neue Wege zu gehen, sich auch mal in Modellbauvereinen nach neuen Talenten für Ingenieursberufe umzuschauen, und nicht stur auf die Schulabschlüsse zu setzen. Auch für das Problem der Bindung von Saisonkräften gab er Anregungen: So könnten die Betreiber von Ausflugsschiffen, die nur im Sommer unterwegs sind, doch mit den Betreibern von Weihnachtsmärkten kooperieren. Ein reger Austausch zwischen Podium und Publikum entspann sich zum Thema: Wie und wo werden Fachkräfte aus dem Ausland am besten betreut? Das Podium war sich einig: „Berlin hat kein Problem mit mangelnder Attraktivität!“
Fotos: © Pia Henkel / RIK Berlin Südwest
von Sven Goldmann
Balance statt Burnout
Beim 23. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest wird über den Weg zu einer erfolgreichen betrieblichen Gesundheitsförderung diskutiert
Die Sonne strahlt mit der Liebenswürdigkeit eines späten Frühlingsabends in den Club des Goerzwerks, da erzählt Dr. med. Christian Keßler von der ewigen Kälte. Von dem Freund aus Alaska, der zu Besuch nach Berlin gekommen ist, deshalb dränge die Zeit und er müsse jetzt leider aufbrechen, „oder gibt es noch irgendwelche Fragen?“ Keßlers kleiner Feierabendstress passt ganz gut zum Thema des 23. RegioTALKs des Regionalinkubators Südwest (RIK). Es geht um das Thema „Vital im Job – Strategien für eine erfolgreiche betriebliche Gesundheitsförderung“, um Stress und all die anderen unangenehmen Auswirkungen, die das moderne Arbeitsleben bereithält. Bevor nun der Oberarzt Christian Keßler weiter gelöchert wird und nur mit Herzrasen oder Schweißausbrüchen zu seiner Verabredung kommt, wird er in allen Ehren vom RIK-Chef Juri Effenberg verabschiedet. Anerkennender Beifall legt sich über das Dachgeschoss des Goerzwerks: Kommen Sie gut nach Hause!
Christian Keßler absolviert den RegioTALK nach seiner normalen Arbeitszeit, und die ist ausfüllend genug. Als Oberarzt und Forschungskoordinator an der Charité und am Immanuel- Krankenhaus in Wannsee widmet er sich dem weiten Feld der psychomentalen Gesundheit. Das klingt nach einem Phänomen des dritten Jahrtausends und geht doch viel weiter zurück. Keßler zitiert Hippokrates, den Vater der modernen Medizin, mit dem schönen Satz: „Ein gesundes Umfeld ist der beste Schutz vor Krankheit“. Weil das leicht gesagt und doch schwer umzusetzen ist, haben Keßler und seine Kolleginnen und Kollegen das Lagom-Projekt aufgelegt. Lagom ist eine schwedische Vokabel und bedeutet so viel wie: Die goldene Mitte. Nicht zu viel und nicht zu wenig, im medizinischen Sinne: Balance statt Burnout.
Das Problem ist allgegenwärtig und längst auch bei der Generation der Babyboomer angekommen. Gerade erst hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Alarm geschlagen mit der Meldung, dass die Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenen Jahr auf 360.000 angestiegen ist. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen sind, nämlich die Babyboomer und ihre Eltern. Christian Keßler ergänzt diese Zahl mit einem Blick auf psychische Erkrankungen. Die darauf zurückzuführenden Fehltage sind in Deutschland im Jahr 2023 um 52 Prozent gestiegen.
Wie dramatisch die Situation mittlerweile ist, erfährt Christian Keßler jeden Tag an seinem Arbeitsplatz. Der Anstieg psychischer Krankheiten betrifft vor allem das Gesundheitswesen. Krankenschwestern und Pflegepersonal, aber auch Ärztinnen und Ärzte liegen bei den Fehltagen an der Spitze. Die Belastung sei einfach zu hoch, und sei keinesfalls allein der Ausnahmesituation in Folge der Corona-Epidemie geschuldet. Da habe es nur die breite Bevölkerung endlich mitbekommen.
Wie kann dem entgegengewirkt werden? Was kann man auf körperlicher, was auf mentaler Ebene machen? Hier setzt das Lagom-Projekt an. In zahlreichen Interviews fragten Keßler und seine Kolleginnen und Kollegen nach: Was ist los am Arbeitsplatz, im gesellschaftlichen und privaten Umfeld? Das Pilotprojekt veranschlagte neun Kursstunden pro Projektgruppe und legte seinen Schwerpunkt auf praktische Erfahrbarkeit, auf Austausch und Diskussion in der Gruppe. Es ging darum, Stressmuster zu erkennen und Handreichungen zu geben, etwa zu gesundem Pausenverhalten und wertschätzender Kommunikation. Am Ende der Pilotphase stehe jedenfalls die Erkenntnis: „Lagom ist machbar, es wurde von allen Teilnehmenden als hilfreich und relevant empfunden.“
So viel zum medizinischen Personal. RIK-Chef Juri Effenberg fragt nach: „Ist das denn auch auf andere Branchen übertragbar? „Grundsätzlich glaube ich das schon“, antwortet der Arzt. „Aber glauben ist eine Sache, Wissen eine andere“, da seien schon weitere Untersuchungen nötig. Dann verabschiedet er sich zu dem alten Freund aus Alaska und überlässt Marcel Skrzipczyk das Feld. Er leitet die Lehrakademie für Physiotherapie Berlin und widmet sich in seinem Vortrag der Macht der Haltung.
Das ist bewusst doppeldeutig formuliert, denn der aufrechte und schmerzfreie Gang setze auch eine entsprechende Leistung im Kopf voraus. „Es gibt nicht die eine perfekte Haltung, sagt Marcel Skrzipczyk. „Wichtig ist, dass Sie sich so verhalten, dass Sie sich gut dabei fühlen. Und: Bewegen Sie sich!“, aber daran scheitere es meist. An der inneren Haltung. Weil zu viele Menschen immer noch glauben, sie könnten Bewegung oder Therapie vernachlässigen, weil es wichtigere Dinge gebe. Deshalb sei es von entscheidender Bedeutung, dass Fitness-Elemente in den Arbeitsalltag integriert werden. „Es gibt ja durchaus Angebote für betriebliche Gesundheitsförderung“, sagt Skrzipczyk, „aber die Unternehmen müssen dafür auch Werbung machen. Was wir brauchen, sind Gesundheits-Influencer!“
Zum Beispiel jemand wie Miriam Hils, sie ist beim Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf für die Gesundheitskoordination zuständig. Im Goerzwerk erzählt sie von ihrem Alltag im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen, es sind immerhin 2100. Miriam Hils ist ständig unterwegs, denn allerlei Außenstellen wollen besucht und Angebote beworben werden. „Wir müssen weg von den klassischen Info-Veranstaltungen, auf denen am Ende alle einen Kugelschreiber bekommen.“ Es gebe da durchaus Erfolge, etwa eine deutliche gestiegene Zahl von Teilnehmenden beim jährlichen Firmenlauf im Tiergarten, und ganz besonders gern denken sie im Bezirksamt an die Reise zum weltweit größten Staffellauf in Kopenhagen zurück. „Diese Sportangebote nehmen wir sehr wichtig“, sagt Miriam Hils, „schließlich wollen wir uns als Arbeitgeber attraktiv machen!“
Das hätte ein schönes Schlusswort sein können, aber das gebührt an dieser Stelle Paulin Fiedler, die sich bei der AOK Nordost um das Gesundheitsmanagement kümmert. Für das Schlusswort zitiert sie den chinesischen Philosophen Konfuzius, der schon vor 2500 Jahren wusste, wie wertvoll eine angemessene Work-Life-Balance ist. Also sprach Konfuzius: „Tue, was du liebst, und du musst keinen einzigen Tag in deinem Leben mehr arbeiten!“
Fotos: © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest
von Sven Goldmann
Der Angreifer muss nur einmal gewinnen,
aber der Verteidiger darf nie verlieren
Beim 22. RegioTALK wird über die IT-Sicherheit in Unternehmen diskutiert
Die Frühlingssonne blinzelt hinauf in den Club des Goerzwerks. Die langsam anbrechende Dämmerung verbreitet eine zauberhafte Stimmung beim 22. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) und steht doch in einem unheilvollen Zusammenhang mit dem Thema des Abends. Es geht um IT-Sicherheit, den Schutz vor Cyberdieben, und die kommen bevorzugt dann, wenn die anderen gehen. Wenn es leer wird in den Büros und auch im Homeoffice keiner mehr nach den Daten schauen mag. Die Cyberdiebe kommen natürlich nicht nur bei Dunkelheit. Sie sind permanent unterwegs und fahren ihre Angriffe im Sekundentakt, aber den größten Erfolg haben sie nun mal, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt oder gar nicht mehr vorhanden ist.
Im Durchschnitt wird jedes dritte Unternehmen in Deutschland Ziel von Cyberangriffen. Das betrifft Weltkonzerne wie Thyssenkrupp genauso wie den Tante-Emma-Laden um die Ecke. „Die Bedrohung ist global, aber die Auswirkungen sind regional“, sagt RIK-Chef Juri Effenberg, er moderiert die Veranstaltung und hat sich kompetente Gäste eingeladen. Zum Beispiel Marc-Alexander Nagel, den Teamleiter IT-Sicherheit der Digitalagentur Berlin (DAB). Ihm geht es um die Sensibilisierung für ein Problem, das bei vielen immer noch unter dem Radar läuft oder als gelöst betrachtet wird, wenn denn erst einmal eine Firewall installiert oder das Passwort geändert ist. „IT-Sicherheit ist immer eine Momentaufnahme“, sagt Nagel. „Die Cyberkriminalität entwickelt sich immer weiter, es gibt immer neue Bedrohungsszenarien.“ Die Hacker haben Zeit. Der Angreifer muss nur einmal gewinnen, aber der Verteidiger darf nie verlieren. Im Falle eines möglichen Schadens möge man doch bitte umgehend die Hotline der Digitalagentur anrufen, „wir helfen gern und sofort“.
Das Problem sind nicht die zuweilen romantisierten Hacker mit dem unvermeidlichen Kapuzenpulli, die zu Hause im Keller bei Pizza und Energiedrink die Accounts der Mächtigen knacken. Das Problem sitzt in Russland, China oder Nordkorea, wo längst eine wohlsituierte Branche mit geregelten Arbeitszeiten und Rentenanspruch daran arbeitet, den Reichtum im virtuellen Raum abzuschöpfen. „Es gibt nicht den typischen Hacker, es gibt eine allgemeine Bedrohung“, sagt Marc-Alexander Nagel. Noch immer herrsche gerade bei kleinen Unternehmen der Irrglaube vor, sie seien nicht bedeutend genug für einen Hackerangriff und wären der Szene ohnehin nicht bekannt. Aber wer sich auch nur einmal mit seiner Mail- oder IP-Adresse in das Internet begibt, ist ein potenzielles Opfer. Und zu kleine Ziele gibt es nicht, im Gegenteil. Oft greifen die Cyberdiebe nach geringen Beträgen, deren Abbuchung kaum auffällt und erst in ihrer Summierung richtig weh tun. „Wer von Ihnen kontrolliert jede Abbuchung von ein paar Euro bei Amazon?“, fragt Nagel – und bedenklich wenige Arme heben sich im Club des Goerzwerks.
Die abschließende Runde auf dem Podium widmet sich möglichen Schutzmechanismen gegen die Angriffe aus dem virtuellen Dunkel. Kerstin Ehrig-Wettstaedt von der Ehrig GmbH empfiehlt für den Anfang eine Bestandsaufnahme: „Wo stehe ich überhaupt? Was ist mein Sicherheitsniveau?“ Auf dass sich ein jeder einen Überblick darüber schaffe, welche Prozesse in seinem Unternehmen ablaufen müssen, damit das Geschäft auch im Falle eines Angriffs weiterlaufen kann. In diesem Sinne verweist Tilo Schneider von der Croniq Ingenieurgesellschaft auf die Bedeutung, die kritische Daten für jedes Unternehmen haben – und die Probleme, wenn ein Cyberangriff den Zugriff darauf unmöglich macht: „Sorgen Sie dafür, dass es ein Backup von diesen Daten gibt und dass dieses Backup regelmäßig erneuert wird.“ Christian Köhler von der Neuen Köhler Managementgesellschaft rät dringend dazu, sich externe Unterstützung zu holen: „Ein IT-Dienstleister stellt Ihnen die komplette Infrastruktur hin und Sie müssen nicht tagelang rumbasteln. Widmen Sie Ihre Arbeitskraft lieber den Dingen, auf die Ihr Unternehmen spezialisiert ist.“
Marc-Alexander Nagel hört aufmerksam zu und gibt noch einen Ratschlag, der die interne Kommunikation betrifft: „Es liegt im Eigeninteresse eines jeden Unternehmens, das kritische Denken seiner Mitarbeiter zu fördern. Wenn jemandem etwas komisch vorkommt, dann soll er auch den Mut haben, das zu sagen.“ Zur Absicherung fragwürdiger Transaktionen etwa dient die Einrichtung eines nur Eingeweihten (bekannten) Safe Words, das bei Bedarf abzufragen ist. Und ansonsten: Lieber einmal zu viel fragen, wenn der Vorgang fragwürdig erscheint. Blinder Gehorsam war noch nie ein guter Ratgeber.
Es ist nun mal bevorzugt die Komponente Mensch, die Cyberdieben als Angriffsfläche dient. Andererseits kann diese Komponente aber auch sehr hilfreich sein für die Abwehr dieser Angriffe. Juri Effenberg erzählt am Ende dieses spannenden Abends eine ganz persönliche Geschichte. Sie handelt von einem Anruf, den ein Datendieb unter Effenbergs Namen bei seinen Großeltern unternahm. Es ging um den Kauf eines Autos, großartige Gelegenheit, „es müsste nur eben sofort bezahlt werden, könntet ihr bitte das Geld auf das Konto mit dieser Nummer überweisen?“ Der Großvater war schon drauf und dran, so gut hatte der Anrufer die Stimme seines Enkels imitiert. Bis dann die Großmutter einwendete: „Was soll denn der Juri mit einem Auto? Der hat doch gar keinen Führerschein!“
Fotos: © Christian Schneider / RIK Berlin Südwest
von Sven Goldmann
Aus Leestand im Einzelhandel kann eine "Win-Win-Win"-Situation geschaffen werden. Wie genau, wurde im Rahmen des 21. RegioTALK des RIK Berlin Südwest diskutiert.
Am frühen Abend mischt sich junges und jung gebliebenes Volk unter die Kunst. Kreischende Kinder kurven um Skulpturen herum und vorbei an Wänden, die großflächig mit Fotos und Gemälden behangen sind. In der Mitte tanzen Männer und Frauen. Es ist Salsa-Abend im Erdgeschoss des Schloss-Straßen-Centers, was auch ein Stockwerk weiter oben schwerlich zu überhören ist, wo der Regionalinkubator Südwest (RIK) gerade seinen 21. RegioTALK abhält.
RIK-Chef Juri Effenberg hat in eine ganz besondere Location geladen. Nichts gehört so sehr zum Berliner Südwesten wie die Schloßstraße, und wer weiß schon, dass dieses kleine Stück nicht in Steglitz liegt, sondern in Schöneberg. Juri Effenberg schaut durch die riesigen Panoramascheiben hinab auf den Walther-Schreiber-Platz und verkündet: „Sagen wir mal so: Das Center ist das perfekte Eingangsportal zur Steglitzer Einkaufswelt.“ Eine aktuelle Nachricht lässt die Veranstaltung noch einmal in einem anderen Licht erscheinen, nämlich die Insolvenz des Schloss-Straßen-Centers. Doch jedem Ende wohnt ein Anfang inne, und Leerstand bedeutet nur dann Stillstand, wenn es keine guten Ideen zur Neu-, Um- oder Zwischengestaltung gibt. In diesem Sinne widmet sich eine illustre Diskussionsrunde dem Thema „Kreativhubs statt Leerstand – Zwischennutzung als Antwort auf den Flächenmangel für Kunst und Kultur in der Großstadt“.
Ende des vergangenen Jahres hat das Projekt mit dem schönen und doppeldeutigen Namen Zik die ehemalige Verkaufsfläche des Modediscounters Primark bezogen. Zik steht wahlweise für „Zentrum für internationale Künste“ oder „Zeit ist knapp“, und beides fügt sich gut in das Thema des Abends. „Unser Konzept für die Nutzung des temporären Leerstands schafft eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten“, sagt Marvin Yam vom Zik. Erstens profitiert der Eigentümer, dessen Immobilie kostensparend mit Leben gefüllt wird. Zweitens freut sich der Bezirk, weil er mehr Kultur anbieten kann. Und, drittens, haben die Künstler einen weiteren Ort, an dem sie kreativ werden können. Denn in Berlin fehlt es ja nicht an Kultur, sondern an Plätzen, an denen sie präsentiert und verwirklicht werden kann. „Und wer bezahlt das alles?“, fragt eine Frau aus dem Publikum? Das kommt darauf an. Im konkreten Fall finanziert das Zik die Kosten für Energie und Wasser, etwa über staatliche Zuschüsse, die Einnahmen der kleinen Bar im Erdgeschoss und die Ausrichtung größerer Events im ersten Stock.
Für die Umsetzung neuer Konzepte braucht es kreative Initiatoren, bereitwillige Investoren – und Moderatoren an der Schnittstelle zwischen beiden Welten. Zum Beispiel Eva Nieuweboer, sie ist ein paar Ecken weiter in Friedenau groß geworden und arbeitet als Kulturmanagerin für den Kölner Projektentwickler Pandion. Sie ist in beiden Welten zu Hause und bedauert es, dass es zuweilen am gegenseitigen Verständnis fehlt. Denn Kulturschaffende seien nicht per se laut und rücksichtslos, und wer hat eigentlich die Mär in die Welt gesetzt, dass Unternehmer immer böse Immobilienhaie sind?
In das Ressort der Kulturmanagerin fällt die Zwischennutzung von Objekten vor einem möglichen Abriss oder Umbau. „Bis irgendwann etwas Neues entsteht, können sich Künstler aus dem Kiez austoben“, sagt Eva Nieuweboer und erzählt dem staunenden Publikum, was sie schon so alles auf den Weg gebracht hat. In jüngster Vergangenheit engagierte sie sich mit Pandion etwa in der Kreuzberger Prinzessinnenstraße und stellte dort ein ehemaliges Autohaus zur Umwandlung von künstlerischer Energie zur Verfügung. Ein anderes Mal wurde ein Tiny House auf einem Parkplatz zum mobilen Tanz-, Ton- und Coaching-Studio umgewidmet. Kunst braucht Raum und Fantasie ist alles – während der Corona-Epidemie tat es auch ein zur kreativen Gestaltung freigegebener Bauzaun.
Nicht alle Wünsche lassen sich sofort erfüllen. Wände zum Aufhängen von Bildern sind leichter zu beschaffen als Räumlichkeiten, wie sie Yvon Fragniere zum Inszenieren seiner Kunst braucht. Der Schweizer ist als Artist auf hohe Decken und tragfähige Konstruktionen angewiesen. „Für Luftakrobatik sind viele Räume einfach nicht hoch genug“, sagt Yvon Fragniere. „Zum Training können wir bei Sportklubs unterkommen, aber bei Veranstaltungen vor Publikum stoßen wir an unsere Grenzen.“ Eva Nieuweboer entgegnet: „Auch so etwas fördern wir gern. Solange niemand diskriminiert wird, machen wir uns für alles stark“, und wer die emsige Kulturmanagerin an diesem Abend in ihrem Element erlebt, der hegt keinen Zweifel daran, dass sie auch für die Luftakrobaten eine Lösung finden wird.
Neben ihr auf der Bühne steht Patrick Steinhoff und hört interessiert zu. Als Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Steglitz-Zehlendorf mag er der für die Kultur zuständigen Kollegin Cerstin Richter-Kotowski nicht ins Ressort hineinreden und nimmt doch wertvolle Anregungen mit ins Rathaus: „Es geht ja auch darum, lebhafte Einzelhandelszentren zu haben, und da ist es natürlich von Vorteil, wenn die Kunden nicht nur konsumieren, sondern auch Kultur genießen können.“ Steinhoff weiß, wie knapp der Platz dafür an kommerziell geprägten Orten wie der Schloßstraße ist. Umso mehr hat er sich über den wuseligen Empfang am Walther-Schreiber-Platz gefreut, über die skatenden Kinder und die Salsaklänge, die auch später am Abend noch über die verwaisten Treppenhäuser ihren Weg hinauf finden in die Diskussionsrunde. „Da merkt man, dass die Schloßstraße lebt, und das fühlt sich sehr gut an.“
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Trubel im Schloss-Straßen-Center nicht immer auf Gegenliebe stößt. Marvin Yam erzählt von einem Kunstliebhaber, der sich beim Betrachten der Bilder und Skulpturen von skatenden Kindern gestört fühlte. „Das ist ja die reine Anarchie hier“, habe der Mann moniert, worauf ein anderer Besucher erwiderte, dass Kunst und Anarchie doch ganz gut zueinander passten. Da wetteifert lautes Gelächter mit den Salsaklängen im Schloss-Straßen-Center, und Juri Effenberg sorgt dafür, dass auch die Wirtschaft nicht zu kurz kommt. Der RIK-Chef verweist auf konjunkturfördernde Effekte für den benachbarten Spielzeugladen, „denn bei dem sind jetzt immer öfter die Inline-Skates ausverkauft!“ Könnte es eine schönere Schluss-Anekdote geben an diesen anregenden Abend.
von Sven Goldmann
Eine Ernährungswende gibt es nicht zum Nulltarif
Beim 20. RegioTALK wird über die Zukunft des Lebensmittelkonsums diskutiert
Es gibt ein kleines Jubiläum an diesem milden Winterabend in Dahlem. Zur Aufführung kommt der 20. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK), und das in einer Location, die wie gemalt wirkt für diesen besonderen Anlass. Die Runde widmet sich dem Thema: „Ernährungswende. Warum wir unseren Lebensmittelkonsum verändern müssen.“ Wo könnte darüber besser diskutiert werden als in einem Haus mit dem schönen Namen Culinarium?
Das Culinarium war mal ein Pferdestall und beherbergt heute eines der beiden Museen auf dem Gelände der Domäne Dahlem. Die hier gezeigte Dauerausstellung heißt Vom Acker bis zum Teller und trifft damit ganz gut den Ton des Abends. Es geht darum, die Produktion von Lebensmitteln ökologisch und gesellschaftlich vernünftiger zu gestalten, ohne negative Folgen für Gesundheit und Umwelt, mit regionalem Anbau als Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise. Genauso, wie es die Domäne Dahlem handhabt. Als Bioland-Betrieb ist Deutschlands einziger Bauernhof mit U-Bahnhof bemüht, alle Tiere so artgerecht wie möglich zu halten, auf dass am Ende auch der Verbraucher profitiert. Im Hofladen der Domäne gibt es Fleisch und Eier aus eigener Produktion.
Als Moderator springt der frühere RIK-Chef Professor Frank Schaal für seinen kurzfristig erkrankten kommissarischen Nachfolger Juri Effenberg ein, und es trifft sich gut, dass er dieses Comeback ausgerechnet seinem erklärten „Berliner Lieblingsort“ gibt. Das Thema des Abends liegt dem Geschäftsführer der Domäne am Herzen. „Wir brauchen die Ernährungswende“, sagt Steffen Otte und listet die Gründe dafür auf: Die massive Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die fortschreitende Zerstörung der Umwelt, die Zunahme gesundheitlicher Folgen der Fehlernährung, die abnehmende Resilienz des gesamten Systems. So könne es nicht weitergehen
Zur wissenschaftlichen Untermauerung hat sich der RIK geballten Sachverstand eingeladen, Frank Schaal spricht von einer „außerordentlich hohe Professorendichte“. Als erste ergreift die Professorin Martina Schäfer das Wort. Sie leitet als Geschäftsführerin das Zentrum Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Berlin und verweist unbestechlich knapp auf die Folgen einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft: Hunger und Fehlernährung, den dramatischen Anstieg von CO2-Ausstoß, Energie- und Süßwasserverbrauch, den Verlust von Biodiversität. Dazu gebe es ein nur auf den ersten Blick widersprüchliches Auseinanderdriften von Symptomen in Sachen Ernährung: „Der Hunger auf der Welt wird immer größer, zugleich nimmt der Anteil von Übergewichtigen zu“, sagt Martina Schäfer.
Einen Ausweg verheißt die Planetary Health Diet, eine Art globaler Speiseplan für die Zukunft, von dem sich Experten und Expertinnen wie Martina Schäfer erhoffen, dass er die Gesundheit des Menschen und des Planeten nachhaltig schützen kann. Es geht vor allem darum, weniger tierische Produkte zu verzehren. Weg von Fleisch und Käse, hin zu Bio-Lebensmitteln und regionalen Produkten, auf dass der ländliche Raum gestärkt wird und stabile Wertschöpfungsketten entstehen. In diesem Sinne hat die Technische Universität sich in zwei Projekten engagiert, die auf regionaler Basis Kantinen bei der Umstellung auf Biofleisch und vegetarische Speisepläne unterstützt. Die Ergebnisse empfindet Martina Schäfer als ermutigend: „Die Kantinenbetreiber sind guten Willens und haben auch Spaß daran, neue Wege zu gehen. Aber sie brauchen auch Unterstützung, ganz allein werden sie es nicht schaffen.“ Eine Ernährungswende gibt es nicht zum Nulltarif.
Einen anderen Ansatz verfolgt der Professor Sascha Rohn in seiner alltäglichen Arbeit. Die von ihm definierte Wertschöpfungskette reicht von der Landwirtschaft über die Ernährungswirtschaft und die Gesundheitsforschung bis zum Verbraucher. Sascha Rohn widmet sich an der Technischen Universität der Lebensmitteltechnologie und bezeichnet sich mit ironischem Lächeln als der Elfenbeintürmler der Runde. „Bei Leuten wie mir arten Familienfeiern oft zu Consulting-Veranstaltungen aus. Alle haben sie Fragen: Lebensmittel sollen sicher sein, keine Chemie beinhalten, frisch und dennoch lagerfähig sein, gut aussehen authentisch wirken, naturbelassen und haltbar sein, gesund und wohlschmeckend.“ Da liegen Widersprüche auf der Hand.
Sascha Rohns Botschaft an diesem Abend lautet: Chemie in Lebensmitteln muss nicht unbedingt schlecht sein. Und nicht jedes Biosiegel verheißt automatisch Wohlbefinden. Natürlich sei überhaupt nichts gegen den Verzehr von Brokkoli mit den darin enthaltenen Senfölglycosiden einzuwenden, ganz im Gegenteil. Aber man möge sich hüten vor Verallgemeinerungen, etwa Rückschlüssen auf die Wirksamkeit im Kampf gegen Krebs, nur weil in einer Familie von Brokkoli-Fans seit drei Generationen niemand an einem Karzinom erkrankt sei. Die Wahrheit sei ein bisschen komplizierter. Nachhaltige Forschung müsse sich „auf Untersuchungen zur Aktivität von bioaktiven Substanzen und den tatsächlich konsumierten Verbindungen“ konzentrieren.
Wie die Professorin Martina Schäfer sieht auch der Professor Andreas Michalsen die Perspektive für eine nachhaltige Ernährungswende in einer Planetary Health Diet. Andreas Michalsen forscht am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité und hofft auf eine Art Game Changer: „Auf diese Weise kann man 10 Milliarden Menschen ernähren, den Planeten retten und uns alle gesünder machen.“ Ja, es gebe auch andere Probleme, die nach Lösungen verlangen, zum Beispiel die dramatischen Schäden durch konventionelle Motoren. „Aber Elektroflugzeuge wird es nun mal nicht so schnell geben.“
Eine Ernährungswende auf der Basis einer Einschränkung des Fleischkonsums lasse sich dagegen von heute auf morgen auf den Weg bringen. Die Lebensmittelindustrie berechnet bei der Produktion von Fleisch allzu oft nur die unmittelbar anfallenden Kosten, aber nie die Folgeschäden, etwa für das Gesundheitswesen, als da wären: Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Demenz, Krebs oder Depression. Was ist, wenn das alles einfließen würde, Professor Michalsen? „Dann steigen die Preise um das zwei- oder dreifache.“
von Sven Goldmann
Die Reise ist das Ziel
Beim 19. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest
wird über die Zukunft der Busreisen debattiert
Später am Abend kommt auch Konfuzius zu Wort. Christiane Leonard, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer, führt ihn ein mit dem schönen, wenn auch leicht abgewandelten Zitat: „Die Reise ist das Ziel.“
Ja, so hätte Konfuzius das vielleicht formuliert, wenn es vor 2500 Jahren schon Busreisen gegeben hätte und er beim 19. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) das Wort geführt hätte. 90 Minuten lang wird im Culinarium der Domäne Dahlem leidenschaftlich debattiert bei dieser Kooperationsveranstaltung von RIK und Tourismusdialog Berlin. Sind Urlaubsreisen mit dem Bus wieder gefragt? Welche Infrastruktur wird benötigt, und wer soll sie bezahlen? „37 Millionen Menschen waren in Deutschland im vergangenen Jahr mit dem Bus unterwegs“, sagt Wolfram Goslich, der Moderator dieses kurzweiligen Abends. Auch und gerade in Berlin sind Busreisen ein tragendes Element im touristischen Portfolio. Allein der weltweite Branchenführer Flixbus hat 2023 mehr als 2 Millionen Fahrgäste nach Berlin gebracht. Die Reise ist das Ziel.
Ganz im Sinne des abgewandelten Konfuzius-Zitats geht es um mehr als nur darum, Passagiere von A nach B zu transportieren. Zum Beispiel bei Ulrich Basteck, dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Berliner Unternehmens Wörlitz Tourist. Auch sein Unternehmen hat unter den Zwängen der Corona-Pandemie gelitten, unter den Reglementierungen einer Zeit, in der vielen der Wert einer lange als selbstverständlich empfundenen Bewegungsfreiheit erst richtig bewusst wurde. „Wir sind jetzt wieder nahe an den Zahlen der Vor-Corona-Zeit“, sagt Basteck. Sein Geschäftsmodell betrifft vor allem den Dritt- oder Vierturlaub, die Städte- oder Themenreisen, „bei uns wollen die Leute ihren Horizont erweitern, und die Nachfrage ist mittlerweile wieder sehr gut“. Die Babyboomer kommen in die Jahre, sie haben Geld und wollen es ausgeben.
Die Probleme liegen anderswo. Basteck erzählt von dem „vielen Blech, das bei uns auf dem Hof steht“ – Busse, die bewegt werden wollen. Was fehlt, ist das Personal. Die Fahrer und Reiseleiter. Die Hoteliers und Gaststättenbetreiber, die Gruppen als Kunden akzeptieren. Der Fachkräftemangel trifft auch den Tourismus. Dazu ist es die immer noch als übergriffig empfundene Bürokratie, die den Unternehmern zu schaffen macht. Um Gehör zu finden, haben sie sich den Bundestagsabgeordneten Michael Donth in die Domäne Dahlem eingeladen. Der CDU-Mann sitzt in den Ausschüssen für Verkehr und Tourismus. Beim RegioTALK signalisiert Donth die grundsätzliche Bereitschaft der Politik, über die Abschaffung von überholten Standards nachzudenken, etwa die immer noch gewaltigen Kosten, die die Ausbildung der so dringend benötigten Busfahrer verschlingt.
Bei Flixbus registrieren sie allen Problemen zum Trotz einen gestiegenen Trend zur freizeitbezogenen Busreise. Daniel Packenius führt die Geschäfte der Tochtergesellschaft für Deutschland, Österreich und die Schweiz und freut sich über die steigende Nachfrage für Reisen in europäische Hauptstädte, „aber auch bei den Geschäftsreisen geht es bergauf“, etwa auf der Linie München – Zürich. „Wir hatten im vergangenen Jahr das größte Flixbus-Netz aller Zeiten, mit 280 Destinationen und rund tausend Abfahrten am Tag.“
Was macht den neuen Trend zu Busreisen aus? Christiane Leonard verweist auf ein Thema, das zu Konfuzius‘ Zeiten noch nicht auf der Tagesordnung stand: „Die Leute mögen den Bus auch, weil er das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Darum streiten wir traditionell mit der Bahn. Aber zurzeit listet uns das Umweltbundesamt auf Nummer eins, und die Kollegen dort stehen ja eher nicht im Verdacht, auf unserer Payroll zu stehen.“
Die Frage nach der Umweltfreundlichkeit des Busses wird Dirk Ansorge öfter gestellt. Der Head of Technical Product Marketing Bus der VW-Nutzfahrzeugtochter MAN Truck & Bus, Dr. Dirk Ansorge, antwortet dann: „Das lässt sich ganz einfach ausrechnen: Was verbraucht der Bus auf 100 Kilometer? Das müssen Sie dann nur pro Kopf umlegen“, und da liege der Bus eben vorn. Wenn diese umweltfreundliche Art des Reisens dennoch zuweilen Kritik auf sich zieht, so richtet sich diese an die nicht von allen als durchgehend komfortabel empfundene individuelle Freiheit. Der Raum im Bus reduziert sich auf geschätzt zwölf mal drei Meter, und der wird in Deutschland fast ausschließlich mit vier Sitzplätzen pro Reihe gefüllt. „In Südamerika oder Asien sind drei Sitze die Regel. Warum ist das bei uns nicht möglich?“, fragt der Moderator Wolfram Goslich. Daniel Packenius entgegnet, das theoretisch alles möglich sei, „aber wie groß ist die Zahlungsbereitschaft? Wenn wir Dreierreihen anbieten, verlieren wir ein Viertel der Kapazität.“ Das schlage sich auf den Preis nieder und damit auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen wie Flixbus oder Wörlitz.
Ähnliches steht auch von einer möglichen Umstellung der Fahrzeugflotte auf Elektromotoren zu erwarten. Flixbus hat vor ein paar Jahren zwischen Frankfurt und Mannheim den ersten E-Bus auf die Strecke gebracht – und musste das Experiment mangels Erfolg abbrechen. „Stand heute ist der Dieselbus noch immer die beste Technologie“, sagt Daniel Packenius, „aber in 20 Jahren wird das wohl nicht mehr so sein.“ Als nächstes will er es mit Biogas probieren, denn wer außer Konfuzius weiß schon, wohin die Reise geht.
von Sven Goldmann
Um kurz vor halb neun wird Nicola Kleppmann mit einer Frage konfrontiert, die sie schon ein wenig länger umtreibt. Wie definiert man guten Führungsstil? Nicola Kleppmann ist promovierte
Physikerin, sie hat in Cambridge studiert und leitet in Berlin die KT Elektronik GmbH, ein Unternehmen mit 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der ganzen Welt. Eine trotz ihrer jugendlichen
Erscheinung gestandene Frau, sie macht ihren Job gern und erfolgreich und war genau deshalb ein wenig irritiert, als ihr ein Mitarbeiter mal erzählte, was er an ihren Führungsqualitäten schätzt:
„Du hast mich nie angeschrien!“ Da lacht das Publikum im Club des Goerzwerks hoch über dem südlichen Rand des Berliner Südwestens. Nicola Kleppmann stimmt mit ein und konstatiert dann doch: „Also
eigentlich ist das nicht die Messlatte, an der ich meine Führungsqualitäten bewertet sehen will.“
Diese Anekdote ist zum einen lustig und steht zum anderen für die Offenheit, mit der beim 18. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) debattiert wird. Sieben Unternehmerinnen und Unternehmer sind an die Goerzallee gekommen, um über ein ebenso spannendes wie zeitgemäßes Thema zu reden: „Unternehmensführung mit Unternehmenskultur – wie arbeiten Führungspersönlichkeiten, um erfolgreich zu sein?“ Den Anfang in der vom scheidenden RIK-Chef Professor Frank Schaal und seinem Nachfolger Juri Effenberg moderierten Runde macht der Gastgeber. Silvio Schobinger erzählt von der Erfolgsgeschichte des Goerzwerks, das er 2015 gekauft und mittlerweile zur Heimat von 135 Unternehmen gemacht hat. Welche Rolle spielt dabei das Zusammenspiel von Unternehmergeist und -philosphie? „Als ich hier ankam, mussten wir den leeren Kasten vollkriegen. Da war es wichtig, nachhaltige Beziehungen aufzubauen. Sonst funktioniert das nicht.“
Nina Freund ist eine von denen, die sich hier einquartiert haben. 2017 ist sie mit der Freund GmbH ins Goerzwerk eingezogen und hat sich sofort verliebt in die großen Flächen, auf die ihr auf grüne Wohlfühloasen spezialisiertes Unternehmen so dringend angewiesen ist. Nina Freund zeigt beeindruckende Fotos. Lange Konferenztische vor moosbegrünten Wänden. Baumrinde, die sich vom Parkett bis an die Decke streckt. Ihr Anspruch ist es, die Natur in geschlossene Räume zu bringen und damit eine Atmosphäre zu kreieren, wie sie auch in ihrem Unternehmen herrschen soll. „Ich gehe auf die Menschen zu und versuche, nie laut zu werden“, sagt Nina Freund. Aber wenn sie persönlich betroffen sei, könne sie auch schon mal emotional werden. Und was die Unternehmenskultur betrifft: „Schreibt man so etwas auf? Oder findet sich das? Es braucht auf jeden Fall Zeit“, und wo sollte man sich die besser nehmen als in einer ihrer grünen Wohlfühloasen.
Von den bemoosten Wänden fällt der Übergang leicht zur Domäne Dahlem, die Frank Schaal in seiner Anmoderation als „einen meiner Berliner Lieblingsorte“ anpreist. Steffen Otte ist vor zwei Jahren aus Hamburg als neuer Geschäftsführer zu dem Bio-Bauernhof mit angeschlossenem Freilandmuseum gekommen und war erst einmal beeindruckt davon, „welches Standing die Domäne in Berlin hat“. 50 Mitarbeiter hat die hauseigene Stiftung und noch einmal zehn die ausgegliederte GmbH, die sich um die Organisation von Veranstaltungen kümmert. Nach einem harten Sparkurs und allerlei Einschränkungen in Folge der Corona-Pandemie war das Betriebsklima bei seinem Amtsantritt eher bescheiden. Steffen Otte hat sich vorgenommen, ein paar Sachen anders zu machen, das heißt: fast alles. „Ich will präsent sein, die Arbeit der Kollegen wertschätzen, selbst mitarbeiten, transparent sein, die Mitarbeiter zu Eigenverantwortung motivieren“ und noch einiges mehr. Ganz schön viel Veränderung, aber der neue Mann sieht sich bestätigt: „Im Großen und Ganzen läuft alles positiv. Auch wenn ein paar Leute schon mal komisch gucken, wenn plötzlich der Chef vorbeischaut und ihnen bei der Arbeit über die Schulter schaut.“ Neulich hat ihm ein Kollege beim Besuch im Gewächshaus freudig erzählt: „Was für eine Überraschung, von der Geschäftsführung war schon seit fünf Jahren niemand mehr hier.“
Dass früher mal alles anders war, bekommt auch Erik Ostach öfter zu hören. Als Werkstattmeister beim Mercedes-Benz-Werk Marienfelde, dem größten im gesamten Konzern, fällt ihm die Aufgabe zu,
altverdienten Mitarbeitern die Notwendigkeit der Digitalisierung näher zu bringen. „Da geht es um Leute, die ihr Leben lang als Facharbeiter hochgeschätzt waren und in deren Berufsbild sich von
einem auf den anderen Tag alles ändert. Das ist eine unglaubliche Herausforderung!“ Im Digital Factory Campus lernen ehemalige Metallarbeiter, wie sich Elektronik programmieren lässt. Wie das
angenommen wird? „Durchwachsen“, sagt Erik Ostach. „Nicht jeder freut sich über Veränderungen“, und manchmal müssten regelrecht neue Aufgaben für alte Kollegen gefunden werden. „Aber wir nehmen
jeden mit, es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen“, und das ist schon eine bemerkenswerte Unternehmenskultur.
Das Prinzip der Wertschätzung treibt auch Cornelis Hemmer um. Gemeinsam mit seiner Ehefrau hat er vor 13 Jahren die Stiftung für Mensch und Umwelt gegründet. „Wir kümmern uns um Artenschutz, das heißt: Heue nennt man das ja biologische Vielfalt“, sagt Cornelis Hemmer und erzählt, wie er mal mit 100.000 Bienen das Dach des Berliner Abgeordnetenhauses bereichert hat und der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper sich regelrecht verliebt habe in das summende Volk. Dieser Respekt vor der Vielfalt fügt sich in den Umgang mit den zehn Männern und Frauen, die für die Stiftung arbeiten. Zur besseren Veranschaulichung wirft Cornelis Hemmer eine Matrix an die Wand, in der Menschenwürde, Transparenz, Solidarität und Nachhaltigkeit ganz bewusst ganz groß geschrieben sind. Ohne Respekt geht nichts bei Mensch und Umwelt.
Diesen Respekt hat sich Sven Dosch auf ganz besondere Weise bei seiner Belegschaft erarbeiten müssen. In vierter Generation führt er die Geschäfte der Dosch Messgeräte GmbH, und ein paar seiner 45 Mitarbeiter haben schon für seinen Großvater gearbeitet. Das macht es für den Chef nicht unbedingt einfacher, wenn ihn die Kollegen schon als kleinen Jungen kennen. Sven Dosch hat seinen Papa mal gefragt: „Was ist eigentlich unsere Unternehmenskultur?“ – „Ist halt so.“ – „Aber was ist denn nun unsere spezielle Kultur?“ – „Ach, das ist schwer zu definieren.“ Sven Dosch hat daraus den Schluss gezogen, dass Unternehmenskultur ein fließender Prozess ist, „und dass man am besten gut klaut, also schauen, wo es gut läuft und dann übernehmen. Aber am wichtigsten ist es mir, dass ich authentisch bleibe.“
von Sven Goldmann
Die Deutschen haben Nachholbedarf
Beim 17. RegioTALK des RIK wird über den Tourismus der Nach-Corona-Zeit debattiert
Da ist zum Beispiel Magdas Hotel. Eröffnet in einem Haus, das der große Dombaumeister Kurt Stögerer einst in bester Innenstadtlage für Priester errichtet hat und das sich jetzt dem Social Business verschreibt. Achtzig Menschen mit Flüchtlingshintergrund werden hier ausgebildet. Freiwillige und Künstler bringen sich ein, die phantasievoll recycelte Einrichtung besticht durch den Vintage-Duktus der Sechziger Jahre, und selbstverständlich hält Magda auch das Prinzip der Barrierefreiheit hoch. „Ein großartiges Projekt“, sagt Katja Schellknecht in ihrem Vortrag beim 17. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK).
Es geht in diesem letzten Talk des alten Jahres um den Glanz, den das neue schon verspricht. Um das „Tourismusjahr 2024 – Herausforderungen und Chancen in einer Zeit des Wandels“. Einmal mehr hat sich RIK-Chef Professor Frank Schaal illustre Gäste in den Rokokosaal des Gutshauses Steglitz eingeladen. Den Tourismus-Professor Werner Gronau von der Hochschule Stralsund, dazu seine Kollegin Sandra Rochnowski von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Und die Unternehmensberaterin Katja Schellknecht, die so eindrucksvoll von Magdas Hotel schwärmt, diesem wegweisenden Projekt, das doch allen zeige, wie der Tourismus sich auch in schwierigen Zeiten neu erfinden könne.
Da stört es nicht mal am Rande, dass Magdas Hotel seine multikulturelle Gästeschar nicht in der Steglitzer Schloßstraße oder in Zehlendorf-Mitte empfängt. Sondern in der Ungargasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Entscheidend ist vielmehr, dass es nach den deprimierenden Jahren im Schatten von Corona für den Tourismus wieder bergauf geht. Über die von der Pandemie verursachte Delle müsse man nicht weiter debattieren, erzählt Werner Gronau, „aber mit den aktuellen Zahlen sind wir jetzt fast schon wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit“. Was ihn dabei ein wenig irritiert, ist das überraschend dürftig ausfallende Bekenntnis zu nachhaltigem Reisen. Wenn es denn in den Jahren der erzwungenen Reiseauszeit so etwas wie ein schlechtes Gewissen gegenüber einem womöglich unangemessenen Umgang mit den Ressourcen der Welt gab, so hat dieses sich im Gefolge der Viren verflüchtigt. Insgesamt gesehen habe Nachhaltigkeit eine noch geringere Relevanz als in den Jahren vor Corona, und eine Trendwende sei nicht erkennbar. „Negative Auswirkungen werden zwar bedauert, führen aber zu keinem gesellschaftlichen Handlungsdruck“, sagt Gronau. „Es ist auch nicht so, dass Leute lieber mit der Bahn als mit dem Flugzeug reisen. Die Zahlen sprechen eher für das Gegenteil.“ Was Greta wohl dazu sagt?
In diesem Sinne erinnert die Unternehmensberaterin Katja Schellknecht daran, dass Reisegewohnheiten sich nun mal nicht moralischen Kategorien unterordnen. So gebe es den Massentourismus trotz aller öffentlichen Geißelung immer noch, „das haben wir im vergangenen Sommer am Beispiel Mallorca gesehen“. Auch Airbnb werde zwar kritisch gesehen, „aber da geht die Entwicklung nun mal hin“. Heutzutage wolle doch keiner mehr zwanzig Minuten an einer Rezeption warten oder sich den von Hotelseite verordneten Frühstückszeiten unterordnen. Mittlerweile gebe es einen ganz neuen Trend, nämlich da zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Die moderne Kommunikation macht‘s möglich.
In einer Art Erwiderung zum allgemeinen Hang wider die Nachhaltigkeit verweist die Professorin Sandra Rochnowski darauf, dass sich auf Seiten der Reiseveranstalter sehr wohl etwas verändert habe: „Immer mehr Unternehmen sind dazu verpflichtet, Auskunft über ihren sozialen und ökologischen Fußabdruck zu geben.“ Das Zauberwort heißt CSRD, ein neudeutsches Akronym, das für „Corporate Sustainability Reporting Directive“ steht und damit für die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeits-Berichtserstattung. Das klingt kompliziert und ist es zuweilen auch. „Raten Sie mal, zu wie vielen Kennzahlen Unternehmer mittlerweile berichten müssen“, fragt Sandra Rochnowski in den gut besuchten Rokokosaal. Nach ein paar Sekunden ratlosen Schweigens präsentiert sie die Lösung. „Mittlerweile sind es ... 1178 Kennzahlen!“ – „Das ist doch absurd!“, ruft einer aus dem Publikum. Sandra Rochnowski nickt. „Ja, das ist absurd.“ Die Bürokratie macht es dem Tourismus nicht immer leicht. Wenn denn die Veranstalter gerade hierzulande hoffnungsvoll in die Zukunft blicken würde, so liege das an der Gewissheit, dass „die Deutschen nicht am Urlaub sparen, weil sie seit Corona Nachholbedarf haben“.
Den Wert dieser Erkenntnis für Berlin betont Professor Frank Schaal in der abschließenden Podiumsdiskussion. „Wir dürfen nicht vergessen, welche Kraft der Tourismus als weltweit wichtigster
Wirtschaftszweig auch hier entfaltet“, sagt der RIK-Chef. „Das Geld, das die Touristen in der Corona-Zeit nicht ausgegeben haben, fehlt der gesamten Stadt.“ Aber es gehe wieder aufwärts, auch und
gerade in der Touristen-Metropole Berlin. Etwa in Neukölln, wo neben dem Hotel Estrel ein 200 Meter hoher Bettenturm in den Himmel wächst. Und irgendwo dürfte in Berlin bald auch ein Pendant zu
Magdas Hotel aus dem dritten Wiener Gemeindebezirk das internationale Publikum verzücken.
von Sven Goldmann
Der Mix macht den Erfolg
Beim RegioTALK des Regionalinkubators Südwest wird über das neue Zentrenkonzept für Steglitz-Zehlendorf diskutiert
Peter Helbig ist mit dem Zug angereist. Das klingt weniger spektakulär, als es in Wirklichkeit ist, denn in ganz Deutschland streiken gerade die Lokführer, und da zieht eine Reise mit dem ICE vom Nürnberger Hauptbahnhof nach Berlin Südkreuz ein gar nicht so kleines Abenteuer nach sich. Weil aber Peter Helbig sehnlichst er beim 16. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) erwartet wird, hat er sich auf den Notfahrplan verlassen und ist tatsächlich pünktlich im Gutshaus Steglitz angekommen. Knapp 100 Gäste drängen sich in freudiger Erwartung im Rokokosaal, und zu Ehren des fränkischen Gastes leuchtet der Kronleuchter an diesem schummrigen November Abend besonders hell.
Um kurz vor sieben bittet RIK-Chef Professor Frank Schaal den Mann des Abends auf die Bühne. Peter Helbig zaubert einen USB-Stick aus seiner Aktentasche hervor. Darauf gespeichert sind 42 Folien mit der Kernbotschaft eines 200 Seiten starken Gutachtens, auf das der Berliner Südwesten lange und gespannt darauf gewartet hat. Jetzt liegt es endlich vor: das neue Zentrenkonzept für den Einzelhandel im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, erstellt von der Dr. Donato Acocella Stadt- und Regionalentwicklung GmbH, als deren Geschäftsführer Peter Helbig amtiert. Die Botschaft seines 45-minütigen Vortrags lässt sich so zusammenfassen: Der Berliner Südwesten ist immer noch gut aufgestellt, aber er steht vor großen Herausforderungen.
Ein Zentrenkonzept gibt den räumlichen Rahmen für Einzelhandelsansiedlungen vor. Es dient als Leitlinie zur Beurteilung von Standortfragen, zur Entwicklung von Standortangeboten, als Basis und Orientierung für die Aufstellung und Änderung von Bebauungsplänen. Das letzte Zentrenkonzept für Steglitz-Zehlendorf datiert von 2011, und seitdem hat sich die Welt schon ein wenig verändert. In diesem Sinne bietet Philip Haverkamp zur Einleitung einen kurzen Überblick über die aktuelle Situation. Der Geschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg verweist auf gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise, auf die Einbrüche in Folge von Corona und den russischen Angriffskrieg, und wer weiß schon, wie sich die angespannte Lage im Nahen Osten mittelfristig auf das Geschäftsklima auswirken wird. Krisen sind negativ für die Konsumstimmung, erst recht in Berlin, wo die Kaufkraft traditionell überschaubar ist. „Immerhin ist hier die Beschäftigung im Einzelhandel noch krisenfest“, sagt Phillip Haverkamp. „In Brandenburg schwächelt sie schon leicht.“
Peter Helbig listet in seinem Vortrag auf, dass es in Steglitz-Zehlendorf derzeit 1314 Einzelhändler gibt, sie gehen ihrem Geschäft auf einer Verkaufsfläche von 330 000 Quadratmetern nach und setzen dabei im Jahr knapp 1,9 Milliarden Euro um. Schwerpunkt des südwestlichen Einzelhandels ist nach wie vor das Hauptzentrum an der Schloßstraße, und genau dort türmt sich auch das statistisch größte Problem auf. 19 Prozent der Verkaufsfläche stehen leer. Betroffen sind vor allem kleinere Läden, so dass die Schloßstraße mit all ihren geschäftigen Nebenstraßen im Gesamtbild immer noch als pulsierende und prosperierende Einkaufsmeile daherkommt.
Auf dass sich daran in Zukunft nichts zum Schlechteren wendet, regt Peter Helbigs Gutachten allerlei Maßnahmen an. In der Quintessenz geht es vor allem darum, das Einkaufen verstärkt zu einem Erlebnis über das Geldausgeben hinaus zu machen. Zentren müssten sich als überdachte öffentliche Räume im gehobenen Segment verstehen. Darüber hinaus sollten angrenzende Grünflächen, Stellplätze für Fahrräder und verkehrsberuhigende Maßnahme das Wohlbefinden der zahlenden Kundschaft steigern.
Die Botschaft kommt an. In der abschließenden und von RIK-Chef Professor Frank Schaal moderierten Runde verspricht Patrick Steinhoff, Stadtrat für Stadtentwicklung, den Einfluss des Bezirksamtes geltend zu machen: „Die Steglitzer und Zehlendorfer sollen attraktive Zentren vorfinden. Daran werden wir arbeiten.“ Michael Pawlik, im Bezirk für die Wirtschaftsförderung zuständig, hofft auf ein Mehr an Vielseitigkeit und verweist dabei auf die Idee der Betreiber des Schloss-Straßen-Centers, der nach dem Auszug eines Textildiscounters die Räumlichkeiten für eine kulturelle Zwischennutzung freigab. In diesem Sinne betont Phillip Haverkamp die Wichtigkeit eines Funktionsmixes, auf den sich die Zentren einstellen sollten: Einkaufen bleibe der Anker, aber ein Bummel müsse auch zum nachhaltigen Erlebnis in Sachen Dienstleitungen, Gastronomie oder Kultur werden.
Einkaufen ist kein Selbstläufer mehr, in Berlin genauso wenig wie in Nürnberg, wo der Konzeptentwickler Peter Helbig vor ein paar Stunden in den Zug gestiegen ist. Die Altstadt der fränkischen Kapitale ist die älteste und größte Fußgängerzone Europas, ein Dreieck aus Mode, Lifestyle und Luxus. Aber Online-Shops, hohe Mieten und explodierende Energiekosten haben Spuren hinterlassen. Heute, erzählt Peter Hebig, gibt es in der Nürnberger Altstadt noch ganze vier Schuhgeschäfte.
von Sven Goldmann
Dahlem soll wieder das deutsche Oxford werden
Beim 15. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest wird über den Aufbruch in die technologische Zukunft debattiert
Um kurz vor acht meldet sich ein Mann aus der letzten Reihe. Er hat in den Siebziger Jahren Chemie an der Freien Universität studiert und lauscht jetzt schon seit eineinhalb Stunden, wie beim 15. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) in der Startup-Villa an der Altensteinstraße über die Zukunft debattiert wird. Es geht in dieser von RIK-Chef Professor Frank Schaal moderierten Runde um das Technologie- und Gründungszentrum FUBIC, das ein paar Meter neben der Startup-Villa in den Himmel über Dahlem wächst. Das Thema des Abends lautet: „Zukunftsort und Leuchtturm für den Berliner Südwesten – was FUBIC und FUHUB für den Wissenschaftsstandort Dahlem leisten können.“
Neue Begrifflichkeiten, die den Aufbruch in die technologische Zukunft symbolisieren. Das Kunstwort FUBIC steht für den etwas sperrigen Terminus “Business and Innovation Center next to Freie Universität Campus“ und definiert einen 50 000 Quadratmeter großen Innovationspark. Klingt alles sehr futuristisch, aber der Mann in der letzten Reihe fragt: „Reden Sie hier wirklich über etwas Neues? Oder setzen Sie nicht eine gute Tradition fort?“ Die der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, gegründet im Jahr 1911. Damals, als Dahlem mit Koryphäen wie Albert Einstein, Fritz Haber oder Max Planck einen Ruf als das deutsche Oxford hatte und bis 1944 insgesamt 15 Nobelpreise einheimste.
Interessanter Punkt, findet Jörg Israel. „Ja, wir beziehen uns auf die Vergangenheit. Aber mit neuen Methoden.“ Der Diplom-Ingenieur Jörg Israel widmet sich als Projektleiter der landeseigenen WISTA Management GmbH dem Entstehen des Innovationscampus auf dem Gelände des ehemaligen US-Militärkrankenhauses. Herzstück ist das sechsstöckige Hauptgebäude mit Büros, Co-Working-Spaces und Laboren für Chemiker, Physiker und Mikrobiologen, versorgt auf Nur-Strom-Basis, also komplett CO2-frei. Die Fertigstellung ist für 2025 geplant. Allein dieses Gebäude, errichtet auf dem Fundament des ehemaligen Krankenhauses, bietet eine Bruttogeschossfläche von 54 000 Quadratmetern, die in Dahlem dringend benötigt wird. Die FU gehört bundesweit zu den Hochschulen mit den meisten Ausgründungen, verfügt aber als einzige Berliner Universität nicht über ein eigenes Gründerzentrum.
Dieser Mangel verträgt sich schwerlich mit der Arbeit, die in Dahlem geleistet wird. Aneta Bärwolf, als Leiterin der von der FU betriebenen Profund Innovation die Hausherrin in der Startup-Villa, listet auf: „Seit 2006 haben wir mehr als 200 Ausgründungen begleitet. Aber was Labore betrifft, sind die Kapazitäten der FU begrenzt. Es fehlt an Platz für Unternehmensgründungen aus dem universitären Betrieb heraus. „Das führte zu vielen Abwanderungen nach Brandenburg oder sonstwo in die Bundesrepublik oder auch ins Ausland“, sagt Steffen Terberl. Der Geschäftsführer des vom Berliner Senat geförderten Projekts Zukunftsorte Berlin verweist darauf, es sei höchste Zeit, gegen den Mangel an wissenschaftlicher Infrastruktur anzugehen. „Wir konkurrieren national und auch international mit Wettbewerbern, die zum Teil ganz andere Kapitalbedingungen haben. Wir stellen uns diesem Wettbewerb und werden uns um weitere Ausgründungen bemühen. Mit dem FUBIC kann sich das Potenzial hier endlich entfalten.“
Mittelfristig soll das FUBIC noch sehr viel mehr bieten als das um vier Etagen aufgestockte ehemalige Militärkrankenhaus. Ringsherum werden mit privatem Investment sechs Satellitenbauten geplant, eines soll sogar schon ein paar Monate vor dem Herzstück fertig sein. Es handelt sich dabei um das vom Immobilien-Entwickler Driven Investment geplante Projekt FUHUB. Noch ein Kunstwort, es steht für die FU als Hub, als Knotenpunkt auf den Weg in die technologische Zukunft. Die ersten Konturen des FUHUB sind in unmittelbarer Nachbarschaft der Startup-Villa an der Kreuzung von Fabeck- und Altensteinstraße zu bewundern. „Das wird der erste Holzhybridbau im Laborbereich“, verkündet der Driven-Geschäftsführer Toğrul Gönden. Hinter den Fassaden aus heller Buche entstehen 6600 Quadratmeter Labor- und Bürofläche für technologieorientierte Start-ups und bereits etablierte Unternehmen. Es gibt Regenwasserzisternen, eine begrünte Dachterrasse, eine Lobby mit gastronomischem Angebot, Eventflächen und, passend zu der auch in Dahlemer Laboren geplanten Mobilitätswende, einen Fahrradkeller mit E-Ladestation.
35 Prozent der Flächen sind schon vermietet, ein großer Teil davon an die lieben Nachbarn aus dem Berliner Südwesten. Die Freie Universität hat sich im FUHUB 830 Quadratmeter für ihr „Scale Up Lab“ gesichert. Auf dass in Dahlem wieder, wie vor hundert Jahren, ein deutsches Oxford heranwächst.
von Sven Goldmann
Zwischen Klimagerechtigkeit und revolutionären Supermärkten
Beim 14. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest geht es um die Zukunft des fairen Handels
Später am Abend geht es um... faire Mäuse! Ein Anflug von Heiterkeit legt sich über den Rokokosaal im Gutshaus Steglitz. Dabei steht dieser 14. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) im Zeichen des Handels mit der Dritten Welt, und das ist eigentlich kein besonders lustiges Thema, weil dabei immer noch eine Menge Ungerechtigkeit mit im Spiel ist. Klimakrise, Naturkatastrophen, koloniales Erbe und so weiter. Aber bei wem würde die Vorstellung von fairen Mäusen nicht zumindest ein unterschwelliges Lächeln provozieren? Natürlich handelt es sich dabei nicht um Nagetiere, die so höflich sind und auf das Anknabbern von Käse, Kabeln oder Teppichen verzichten. Sondern um Computermäuse aus thailändischem Bioplastik und afrikanischem Lötzinn, hergestellt unter menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen. Gibt es alles schon, aber kaum einer weiß davon. Am Ende dieses unterhaltsamen Abends werden alle Gäste im Gutshaus ein wenig schlauer sein.
Die Gesprächsrunde widmet sich der Frage: „Handel im Wandel – nachhaltig, fair, rentabel?“ So ganz eindeutig lässt sich das nicht immer beantworten. Gleich am Anfang erzählt Lalida Große eine Geschichte von vermeintlich fair gehandelten Rosen im Angebot eines großen deutschen Discounters. Die RIK-Projektmanagerin Lalida Große führt als Moderatorin durch den Abend und überrascht das Publikum mit der Pointe, dass eben diese Rosen keineswegs alle fair gehandelt sind und allzu oft mit giftigen Chemikalien zulasten äthiopischer Arbeiterinnen besprüht werden. Das hat der Norddeutsche Rundfunk gerade aufgedeckt.
Die Rosen-Recherche fügt sich gut in das Narrativ von Silke Bölts vom Forum Fairer Handel. Sie verweist darauf, dass es vor allem der Globale Süden sei, der unter den allzu oft noch allzu einseitigen Bedingungen des Welthandels leide. Es gehe dabei auch um Arbeitsbedingungen, vor allem aber um die Folgen des Klimawandels, der im Globalen Süden viel stärker zu spüren sei als hierzulande. Silke Bölts definiert den Klimawandel nicht nur als Umweltproblem, sondern auch als ethisches Dilemma: „Wir müssen über Gerechtigkeit reden. Über Gerechtigkeit zwischen denen, die den Klimawandel verursachen, und denen, die seinen Folgen ausgesetzt sind.“ Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der Globale Norden ganz andere technische und finanzielle Möglichkeiten habe, mit menschengemachten Naturkatastrophen umzugehen. Und wer höre eigentlich die Stimme der Umweltaktivistinnen und -aktivisten des Südens? Wer von denen habe schon die Möglichkeit, zu internationalen Kongressen zu reisen und die Medien auf sich aufmerksam zu machen? In diesem Sinne fordert Silke Bölts politische Unterstützung für Kooperativen im Süden und damit auch ein Mehr an Handelsgerechtigkeit. Veranstaltungen wie die noch bis zum 29. September laufende Faire Woche in Berlin sollen mehr sein als nur Folklore oder die Einladung zu einem etwas anderen Einkaufsbummel.
Immerhin: Es bewegt sich etwas. „In Deutschland steigt der Umsatz von fair gehandelten Artikeln im Einzelhandel“, sagt Thomas Fritz von der Fair-Handels-Beratung Berlin-Brandenburg. „Gerade erst haben wir die Grenze von zwei Milliarden Euro im Jahr geknackt, trotz des zwischenzeitlichen Rückgangs während der Corona-Epidemie.“ In vielen Segmenten aber tue sich der faire Handel noch schwer, vor allem in der Elektronik oder in der Computer-Technologie, mal abgesehen von den fairen Mäusen, die das Publikum im Rokokosaal so erheitert zur Kenntnis nimmt. Was am besten geht? Lebensmittel, vor allem Kaffee und Südfrüchte. „Aber auch Fair Fashion befindet sich im Vormarsch. Mittlerweile gibt es sogar Sportartikel, die fair gehandelt werden.“
Fair Fashion ist ein perfektes Stichwort für Vreni Jäckle. Sie hat vor drei Jahren die Plattform
Fashion Changers ins Leben gerufen und wirbt dort für Aufklärung, Weiterbildung und Vernetzung rund um faire Mode. Alles schön und gut, sagt eine Frau aus dem Publikum, „aber wie halten Sie es denn mit Biobaumwolle?“ Vreni Jäckle antwortet, dass sie als Medienschaffende nichts mit der Produktion zu tun habe, „aber natürlich klären wir bei Fashion Changers auf über den Unterschied zwischen konventioneller und Biobaumwolle.“ Ohnehin sei Aufklärung ein ganz entscheidender Aspekt ihrer Arbeit, in ihrem Online-Magazin, auf Social Media, Konferenzen und anderen Events. In ihrem Redeschwall fällt auch der schöne Begriff „Modeaktivimus“, er finde seinen Ausdruck im politischen Engagement der modebewegten Avantgarde, etwa auf Demonstrationen, denn: „Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die Mode ein Teil des Problems ist.“ In diesem Sinne hat sie ein Buch geschrieben, es heißt „Fashion Changers: Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können.“ Passend dazu präsentiert Vreni Jäckle ein Foto, es zeigt sie auf einer Demonstration mit dem kampfeslustigen Transparent: „Fashion killt das Klima!“
Das wirkt ähnlich revolutionär wie das Konzept, mit dem Matthias Rudischer und seine Mitstreiter vom Robin Hood Store den Einzelhandel aufmischen wollen. Seine These lautet: „Wir zeigen, dass man antikapitalistisch wirtschaften kann. Aber: Keine Angst, wir nehmen niemandem etwas weg!“ Robin Hoods Bioläden funktionieren so: Jeder kann Mitglied werden, arbeitet dann drei Stunden im Monat hinter der Kasse oder sonstwo im Laden und bekommt dafür auf alle Einkäufe eine Ermäßigung von 20 Prozent. Und, besonders wichtig: „Wir sind eine Supermarktkette, die ihre Gewinne zu 100 Prozent zur Lösung globaler Probleme nutzt!“ Das Geld gehe als Spende an die Projekte „Coole Earth und „Give Directly“. 2019 wurde der erste Laden in Neukölln aufgemacht, seit kurzem gibt es nach zwischenzeitlichen Rückschlägen einen zweiten, ebenfalls in Neukölln, und Matthias Rudischer kündigt noch unter dem Kronleuchter im Rokoko-Saal des Gutshauses Steglitz die Neueröffnung von Nummer drei an, „sehr gern bei Ihnen hier in Steglitz-Zehlendorf“. Auf dass die Supermarkt-Revolution auch den bürgerlichen Südwesten erobert.
von Sven Goldmann
Chips und Software sind Herz und Hirn der digitalen Welt
Beim 13. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest ging es um Künstliche Intelligenz und wie sie das Arbeitsleben revolutionieren wird
Da ist zum Beispiel die Geschichte mit den Drehbuchautoren aus Hollywood. Sebastian Britz erzählt sie zum Ende
seines Vortrages, als die Dunkelheit sich über Neukölln legt und es unten im Lichtermeer vor der Alten Post in der Karl-Marx-Allee so bunt und durcheinander wuselt, dass man einen schönen
Werbefilm über das multikulturelle Berlin drehen könnte. In Hollywood streiken also die Autoren, weil sie sich nicht gut genug bezahlt fühlen und, schlimmer noch: Weil sie um ihre Zukunft
fürchten. Braucht man sie in ein paar Jahren gar nicht mehr? Artificial Intelligence (AI) – hierzulande als Künstliche Intelligenz (KI) im Gebrauch – bereichert den Alltag der Filmstudios längst
mit spannenden Texten und komplett produzierten Videos. „KI kann vieles schneller als die klassischen Autoren“, sagt Sebastian Britz. Er steht dem Unternehmen H & SB Capital als CEO
vor und führt als Moderator durch den 13. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK). Es geht an diesem Abend um nicht weniger als die Herausforderungen der Zukunft, und die sind gewaltig.
Nicht nur für die Verfasser von Drehbüchern.
Das Thema der Talkrunde lautet: „KI, Chat GPT und Co. Wie können Unternehmen sich auf die digitale Transformation
einstellen?“ Dafür hat RIK-Chef Professor Frank Schaal eine perfekte Location ausgewählt, sie liegt ein wenig östlich vom Berliner Südwesten. Der denkmalgeschützte Renaissancebau des einstigen
Kaiserlichen Postamtes in der Karl-Marx-Straße steht einerseits für Informationstechnologie einer vergangenen Epoche, andererseits aber auch für den Aufbruch in die Zukunft. Seit dem vergangenen
Jahr residiert hier die Berlin School of Business and Innovation, und es sitzen auch ein paar wissbegierige Studenten unter den Gästen im gut gefüllten Konferenzraum hoch über den bunten
Lichtern von Neukölln.
KI wird unser Arbeitsleben perspektivisch revolutionieren. Sebastian Britz verweist darauf, dass Chat GPT,
die meistgenutzte App der Gegenwart, vor allem deshalb so erfolgreich ist, „weil jeder sofort und ohne Vorkenntnisse damit arbeiten kann. Das gilt für alle Altersgruppen und Bildungsstufen.“ Da
wirkt es umso befremdlicher, dass die Technologie-Nation Deutschland eine eher bescheidene Rolle bei der Ausgestaltung der digitalen Zukunft spielt. Nur bei 13,3 Prozent der deutschen Unternehmen
ist KI derzeit im Einsatz. Chips und Software sind Herz und Hirn der digitalen Welt. Es dominieren die USA und China, die Deutschen können aktuell in keiner Disziplin mithalten. Entscheidend für
den Vorsprung der Amerikaner war die Anschubfinanzierung im Silicon Valley, die wahrscheinlich nachhaltigste Wirtschaftsförderung der jüngeren Menschheitsgeschichte. Digitale Souveränität gibt es
nicht zum Nulltarif.
Warum tut sich Deutschland so schwer mit der digitalen Zukunft? Christian Schellenberger hat dazu eine klare
Meinung. „Deutschland sollte das Thema Hochtechnologie in Kombination mit Nachhaltigkeit zusammendenken und als neues, großes Wertversprechen für dieses Land sehen“, findet der Co-Founder des
Venture-Studios Cosmic Gold, einer Strategieberatung, die Wissenschaftler, Ingenieure und Softwareentwickler dabei unterstützt,
nachhaltige, wirkungsgetriebene Produkte auf den Markt zu bringen – alles mit dem langfristigen Ziel, eine regenerative Marktwirtschaft zu installieren. Schellenberger hat zwei Grafiken
mitgebracht. Die eine notiert Deutschlands Talente, also wissenschaftliche Kapazität, im weltweiten Ranking auf Platz drei. Bei der tatsächlichen Umsetzung dieses Potenzials reicht es aber nur zu
Platz acht. Was bei optimaler Nutzung der vorhandenen Kapazitäten möglich ist, illustriert Christian Schellenberger mit dem Verweis auf allerlei Leuchttürme, die auch von Berlin aus in die Welt
strahlen.
Doch so schön und vielversprechend die Zukunft in der Alten Post auch ausgemalt wird – Alexander Acker, der dritte Experte auf dem Podium, will den Abend nicht verstreichen lassen, ohne auf die Gefahren im allzu sorglosen Umgang mit Künstlicher Intelligenz hinzuweisen. Der Co-Founder von logsight.ai arbeitet mit seinem Unternehmen im Hochsicherheitsbereich und muss dabei in Sachen Compliance höchste Standards einhalten. Er verweist darauf, dass der Datenschutz gar nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. „Was einmal in die Maske von Chat GPT eingegeben wurde, kann auf der ganzen Welt eingesehen werden.“ Man muss schon aufpassen, welche Daten man wem zur Verfügung stellt. Künstliche Intelligenz ist eine großartige Unterstützung, aber sie ist eben künstlich und bedarf menschlicher Kontrolle.
Das mag vielleicht auch die Autoren in Hollywood beruhigen, denn so spannend die von Künstlicher Intelligenz angefertigten Drehbücher sein mögen – der letzte und entscheidende Schliff in der Gestalt von kritischem Denken wird auf absehbare Zeit von menschlicher Hand kommen. „Künstliche Intelligenz nimmt niemanden den Job weg“, sagt Sebastian Britz. „Sie erlöst uns bloß von redundanten Tätigkeiten und schafft neue, anspruchsvolle Jobs.“
von Sven Goldmann
Den ersten Beifall holt sich Kathrin Schülein ab, als sie aufzählt, wofür sie denn so alles zuständig ist in ihrem Theater. Also: „ITheaterleiterin, Dramaturgin, Gründerin“ und so weiter und sofort, ach ja, „Reinigungskraft bin ich natürlich auch“, muss ja auch einer machen und zur Not die Chefin persönlich. Lautes Gelächter mischt sich in den Beifall, weil Frau Tausendsasa das so schön vorgetragen hat. Aber richtig lustig ist es eigentlich nicht. Ja, der Kultur ging es schon mal besser, aber geht es ihr wirklich so schlecht?
„Wir wundern uns jeden Tag, wie wir es immer wieder schaffen, zu überleben“, ruft Kathrin Schülein ins Publikum, es sitzt beim zwölften RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK) erstmals an der frischen Luft. RIK-Chef Professor Frank Schaal hat seine Gäste diesmal in das neue Sommertheater am Insulaner geladen. Passend dazu teilt er sich die Moderation mit Katharina Kwaschik aus dem Vorstand der hier beheimateten Shakespeare Company. Es geht um „Kultur als Wirtschaftsfaktor: Chancen und Herausforderungen für die Kulturbetriebe der Berliner Außenbezirke“. Da gibt es allerlei zu bereden, wie der Fall der putzenden Gründungsdramaturgin Kathrin Schülein aus dem Theater Ost in Adlershof zeigt.
Michal Ehrenteit aus Rahnsdorf war früher mal Sportlehrer und später Moderator im DDR-Kinderfernsehen. Seit Wendezeiten organisiert er als Eventmanager künstlerische Programme und moderiert sie selbst. So schwer wie in diesen Tagen sei es noch nie gewesen. „Die Budgets werden reduziert, gleichzeitig wollen die Künstler mehr verdienen, weil alles teurer geworden ist. Das passt nicht zusammen, es löst sich am Ende in weniger und schlechterer Kultur auf.“
Das neue Sommertheater am Insulaner residiert seit einem Jahr auf einer nicht mehr genutzten Liegewiese des Freibades nebenan. Ein Zwischending aus Zirkuszelt und Amphitheater mit fünf hölzernen Reihen im Halbrund, sie schmiegen sich zärtlich an den benachbarten Trümmerberg. So schön kann Kultur Jenseits von Mitte, Prenzlauer Berg oder Charlottenburg in Szene gesetzte werden. „Im letzten Jahr haben wir das Theater eröffnet“, erzählt Geschäftsführer Stefan Plepp. Nach überwundener Pandemie hatten die Berliner wieder richtig Lust auf Theater und füllten zuverlässig die runden Reihen im hölzernen Freiluftbau. Tempi passati. Ein Jahr später macht sich das Publikum rar, und es sind vor allem die billigen Plätze, die leer bleiben. Die kleinen Leute müssen das Geld zusammenhalten und zuerst sparen sie bei der Kultur. Kein Wunder, findet Stefan Plepp. „Wir messen uns hier mit Theatern, die hoch subventioniert werden.“ Jeder einzelne Platz in einem der drei Berliner Opernhäuser werde mit 250 Euro subventioniert. „Wir haben wir seit unserem Bestehen im Jahr 1999 ein einziges Mal 15 000 Euro von der Berliner Politik bekommen. Ist das noch gerecht?“
Ist es natürlich nicht, erwidert Manuel Schroeder vom Kunstverein Schlachtensee. „Die Kunst ist für uns alle so wichtig, dass sie vom Staat gefördert werden muss. Das muss in die Gesetze rein, vor allem aber muss es in die Köpfe rein. Wir müssen nicht von der Kunst leben, wir wollen von der Kunst leben, deswegen nehmen wir ja auch viele Dinge auf uns, die kein normaler Arbeitnehmer machen würde. Glauben Sie etwa, einer von uns hätte sich schon mal ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie viel Überstunden wir so machen?“ Manuel Schroeder sagt, er habe keine Lust mehr, sich mit den Antragsformularen des Senats herumzuärgern. „Wir gehen direkt auf die Wirtschaft zu, das hat sich bewährt.“ Auf diesem Weg sei er mit seinem Kunstverein auch an die neuen Ausstellungsräume in der Galerie Kairos gekommen, ganz in der Nähe vom Mexikoplatz.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Horst Schäfer mit seinem Unternehmen ART Protect aus Pankow. Vor dreißig Jahren hat er mal als Wertpapierhändler gearbeitet und hat sich dem Charme der Zahlen nie so ganz entziehen können. Denn die Kunst bestehe nicht nur aus nicht nur als malen, singen und tanzen, sie sei auch ein Spiel der Zahlen. „Wir haben in Berlin 186 Galerien, wir werden mit Kultur zugeschüttet. Da fragt sich der Kunde natürlich: Soll ich dafür auch noch bezahlen?“ Wenn ja, dann müsse es schon etwas Besonderes sein. Etwas, das dem Kunden entgegenkomme. Also hat Horst Schäfer sich darauf verlegt, Kunst zu verleasen oder zu vermieten. „Wir bringen die Kunst zum Kunden, hängen sie auf und holen sie wieder ab.“ In Pankow haben sie in einer alten Fabrikhalle einen Strand aufgeschüttet und präsentieren dort Künstlerisches. „Wir machen uns attraktiv, das ist unser Weg.“
Katharina Kwaschik fragt die Kollegin Kathrin Schülein aus Adlershof: „Wie siehst du denn die Situation der Theater in Deutschland?“ Resignierendes Achselzucken. „Es sieht nicht gut aus. Wir sind alle Kämpfer und geben nicht so schnell auf, aber die Situation ist dramatisch. Täglich höre ich, dass kulturelle Einrichtungen schließen. Die Auslastung der Theater liegt bundesweit bei 40 Prozent, die Energiepreise steigen teilweise um das Zehnfache. Dazu kommt die Inflation. Wir müssen uns wohl vom Theater verabschieden, wie wir es kennen.“ Wenn, ja wenn die Politik nicht eingreift. Kathrin Schülein hat sich so ihre Gedanken gemacht und will darüber im Herbst vor dem Berliner Abgeordnetenhaus referieren, es geht um eine Art Grundsicherung für Künstler. Auch Stefan Plepp von der Shakespeare Company hat die Politik im Blick, mit einer Initiative, die darauf abzielt, den freien Einrichtungen ein wenig von dem zukommen zulassen, womit die Etablierten, die Institutionen wie das Deutsche Theater oder die drei Opernhäuser so bedacht werden.
Die Politik kommt nicht besonders gut weg an diesem lauen Sommerabend am Fuß des Insulaners. Als Vertreter der Politik steht Carsten Berger auf der Bühne, er sitzt für Bündnis 90/Die Grünen in der BVV von Steglitz-Zehlendorf und verweist erst einmal darauf, dass es sehr wohl einen Unterschied gebe zwischen Politik und Verwaltung. Die Politik wolle schon, aber das auch im Alltag durchzusetzen, sei eine ganz andere Sache. Dann schlägt er den Diskussionsteilnehmern vor: „Lassen Sie uns doch mal einen Termin mit dem neuen Kultursenator machen. Der soll mal erzählen, wie und warum und wem er Geld gibt.“ Der neue Senator heißt Joe Chialo, ein Musikmanager, der auch mal in der Jury für den Eurovision Song Contest saß. Mit der Berliner Kultur hatte er noch nicht so furchtbar viel zu tun. Aus dem Publikum fragt einer: „Was halten Sie denn von dem Mann?“ Allgemeines Räuspern auf der Bühne, keiner mag allzu Garstiges sagen, denn wer will es sich schon mit dem Senator verscherzen. Dann ergreift Stefan Plepp das Mikrofon: „Wir wollen mal hoffen, dass es der Kultur nicht so geht wie den Radwegen!“ Gelächter weht von der Holztribüne hinauf in den Abendhimmel.
von Sven Goldmann
Ganz zum Schluss will einer aus dem Publikum von Jonas Wigger wissen: „Warum hat das mit euch eigentlich nicht in Berlin geklappt?“ Gute Frage. MOIA, das Unternehmen, das in gar nicht so ferner Zukunft den Öffentlichen Personennahverkehr revolutionieren will und für dieses Projekt immerhin den Volkswagen-Konzern hinter sich weiß, ist 2017 in Berlin gegründet worden. Damit passt MOIA wunderbar ins Konzept des 11. RegioTALK beim Regionalinkubator Südwest (RIK), es geht diesmal um das wegweisende Thema „Nachhaltige Mobilität“. Doch die Revolution wird nicht in Berlin, sondern in Hamburg und Hannover geplant. „Unsere Gespräche mit der Senatsverwaltung haben leider nicht zum Erfolg geführt“, sagt der MOIA Public Affairs Manager Jonas Wigger. „Wir gehen nur in Städte, in denen wir gewollt werden gehen.“
Dass es in Berlin zuweilen Probleme gibt in der Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und Verwaltung, ist so neu nicht. „Allzu oft sind es die Unternehmen, die das Tempo machen müssen“, findet RIK-Chef Professor Frank Schaal, der diesmal gemeinsam mit Luisa Arndt von der Berliner Agentur für Elektromobilität als Moderator durch den Abend führt. Beide haben sie sich kompetente Gäste in den Club des Goerzwerks im äußersten Südwesten des Berliner Südwestens eingeladen. Und auch die Gastgeberin hat einiges beizusteuern.
Anusch Guyenz erzählt kurz von der Erfolgsgeschichte des Goerzwerks, das Silvio Schobinger 2015 gekauft und mittlerweile zur Heimat von 135 Unternehmen gemacht hat. „Ein paar aber sind mittlerweile nach Berlin-Mitte abgewandert, weil wir die jungen Fachkräfte nicht hierherbekommen“, verrät Anusch Guyenz. Die großen Zugangsstraßen Dahlemer Weg, Hindenburgdamm und Goerzallee sind chronisch verstopft, der Bus quält sich nur alle zehn Minuten den langen Weg vom Bahnhof Zehlendorf durch den Verkehr. Silvio Schobinger würde gern die alte Bahn reaktivieren, die der Firmengründer Carl Goerz vor hundert Jahren aus Schöneberg über den Bahnhof Lichterfelde-West zum Werk anlegen ließ. Die Schienen schlängeln sich einsatzbereit entlang des Dahlemer Weges, eine von Schobinger gestartete Petition findet den Beifall der Anwohner. „Was fehlt, ist das Commitment der Politik“, sagt Anusch Guyenz. „Ein autonom betriebenes System wäre ein Traum, aber zum Anfang würde es ja auch eine Diesellok tun.“
Nicht nur im Goerzwerk stellt sich eingangs des dritten Jahrtausends die Frage: Wie komme ich nachhaltig zur Arbeit? Professor Schaal rechnet vor: „1,5 Millionen PKWs sind in Berlin angemeldet. Wenn wir die alle zeitgleich auf die Straße bringen, dann versinkt die Stadt im Verkehrschaos. Deshalb sind neue Ansätze so wichtig.“ Zum Beispiel der gar nicht mehr ganz so neue, aber immer populärer werdende Ansatz von Dienstleistern wie der Firma Tier Mobility, deren Director Public Sector Christine Wenzel an diesem Abend ins Goerzwerk gekommen ist. Tiers türkisfarbene Scooter und Fahrräder sind aus dem Stadtbild kaum mehr wegzudenken. Stichwort Mikromobilität, es geht um mobile Einheiten für die kleinen Wege des Alltags, vor allem zur Arbeit und wieder zurück. Christine Wenzel konzediert: „Ich weiß, manchmal stehen unsere Fahrzeuge auch im Weg.“ Das sei auch, aber nicht nur ein Problem von verantwortungslosen Kunden.
Christine Wenzel erzählt von ihren Verhandlungen mit dem Senat: „Es gibt so viele Abstellflächen für Autos, aber für uns? Die Verwaltung ist nicht dafür aufgestellt, um dieses Problem abzustellen. Wir beknien den Senat regelmäßig, aber wir können die Kringel ja nicht selbst auf die Straße malen.“ Geteilte Mikromobilität könne eben nur effizient genutzt werden, wenn alle Räder ineinandergreifen. Etwa in Zusammenarbeit über gemeinsame Apps mit dem ÖPNV, vor allem über eine gute Rad-Infrastruktur. „Viele Menschen nutzen uns nicht, weil sie sich im Straßenverkehr unsicher fühlen, weil es einfach nicht genug Radwege gibt. Dabei ist es doch so einfach: Wer mehr Radwege baut, wird mehr Radverkehr ernten“. Und damit auch für mehr Sicherheit sorgen.
Einen anderen Ansatz verfolgt Niklas Schütze von der Bonner goFLUX Mobility GmbH. GoFLUX bringt über seine App Menschen in Fahrgemeinschaften zusammen. Das funktioniert schon ganz hervorragend in Bonn und Mönchengladbach, „da binden wir den ländlichen Raum an und arbeiten sehr gut mit dem ÖPNV zusammen“. Der Türöffner in beiden Städten war der Erfolg des Mutterkonzerns in Paris, was doch Hoffnung darauf macht, dass es auch in Berlin mal etwas werden könnte. So wie das mit den Fahrgemeinschaften beim Zehlendorfer Vorzeigeunternehmen Knauer funktioniert. Knauer fertigt am Hegauer Weg wissenschaftliche Messgeräte an und macht sich darüber hinaus mit nachhaltigen Mobilitätslösungen für die rund 200 Mitarbeiter verdient. Daniela Fehr und Thomas Müller erzählen beim RegioTALK von ihrem Business Bike Modell, das eine Rad-Abstellanlage, Duschen und jährliche Checks der Mitarbeiter-Räder beinhaltet. Und wer sich zu Fahrgemeinschaften zusammenschließt, dem sichert Knauer einen der wenigen firmeneigenen Parkplätze. Je weniger Auto, desto besser. Und wenn es dann ein Auto sein muss, dann bitte ein E-Mobil, es darf auch kostenlos mit dem auf dem eigenen Dach produzierten Ökostrom betankt werden.
Das revolutionäre Element dieses Abends aber kommt aus Hamburg, von der in Berlin gegründeten Firma MOIA. Der Public Affairs Manager Jonas Wigger skizziert im Goerzwerk die Vision des Autonomen Fahrens, was ein wenig nach Science Fiction klingt und doch gar nicht mehr so weit entfernt ist. Bis 2025 will MOIA ein autonomes, international skalierbares System entwickeln. In Hamburg, wo die Sachen zurzeit noch etwas geschmeidiger laufen als in Berlin. Der mondäne Jungfernstieg an der Alster etwa ist seit 2020 für den privaten Autoverkehr gesperrt. Wer an die Zankereien um ein paar Meter Friedrichstraße denkt, mag sich so etwas in Berlin nicht so recht vorstellen. „Aber wir hören von der neuen Verkehrssenatorin, dass die großes Interesse hat“, sagt Jonas Wigger. Er hat ein schönes Bild der mobilen Zukunft mit an die Goerzallee gebracht, es zeigt ein Idyll von Menschen und Bäumen und dazu auch ein einziges Auto, es ist passenderweise im Farbton der Bäume gehalten. Die Revolution des dritten Jahrtausends, sie leuchtet grün.
von Sven Goldmann
„Es werde Licht!“, steht auf der Einladung zum 10. RegioTALK des Regionalinkubators Südwest (RIK), aber glücklicherweise ist es schon da. Also: das Licht. Es blinzelt durch die großen Panoramafenster hinein ins Klubhaus 14 des Studentendorfs, wo RIK-Chef Professor Frank Schaal diesmal seine Gäste begrüßt. Ohne Licht ist alles nichts, aber Licht ist eben nicht gleich Licht, und genau darum geht es an diesem Frühlingstag in Schlachtensee.
Über 30 Gäste haben sich im Klubhaus 14 versammelt, und Frank Schaal verspricht Ihnen gleich zum Anfang von zwei höchst unterhaltsamen Stunden, „dass Sie heute eine ganze Menge über das Licht hören werden, von dem Sie vorher überhaupt keine Ahnung hatten“. Da ist was dran. Wer weiß schon, dass das Licht am frühen Morgen so blau und segenreich für den Menschen ist wie sonst nie am Tag. Licht mit hohen Blauanteilen sorgt dafür, dass die Produktion des ermüdende Melatonin wirkungsvoll unterdrückt wird und das aufmunternde Cortisol seine Wirkung entfalten kann.
Professor Kai Kummert erzählt davon in seinem eröffnenden Vortrag, es geht dabei um visuelle Behaglichkeit, „einen Erfolgsfaktor im Workplace- und Faciliy-Engineering“. Viel anglizistisches Vokubular, aber den US-Amerikanern ist das Licht am Arbeitsplatz so wichtig, dass sie es frühzeitig in allerlei Gesetze gegossen haben, und deshalb gebührt ihnen auch ein gewisser Anspruch auf terminologische Hoheit.
Kai Kummert lehrt an der Berliner Hochschule für Technik und betreut auch Bachelor- und Masterarbeiten, die sich mit dem Thema Licht auseinandersetzen. In ein paar Jahren zieht er mit seinen Studenten und Studentinnen dorthin, wo früher mal ein Flughafen war, in die Urban Tech Republic Tegel. Und schon jetzt ärgert es ihn maßlos, dass dort in Sachen Licht wohl nicht die Standards eingehalten werden, wie sie für das Arbeiten, Lehren und Lernen eigentlich selbstverständlich sein sollten. Denn nicht immer und überall wird das Publikum so liebenswürdig und natürlich erleuchtet wie im späten Mai im Klubhaus 14 des Studentendorfs.
Künstliches Licht zählt zu den revolutionären Errungenschaften des Industriezeitalters, und es hat eine dramatische Entwicklung genommen seit den Tagen des Thomas Alva Edison. Moderne und energieeffiziente Beleuchtung soll auch ökologische und biologisch wirksame Ansprüche erfüllen. Daran hakt es zuweilen noch, nicht nur am künftigen Arbeitsplatz von Kai Kummert. Zur Audiovisualisierung von wahlweise gutem und nicht ganz so gutem Kunstlicht ist Günter Gdanietz nach Schlachtensee gekommen. Er leitet ein Unternehmen mit dem schönen Namen „Lichtwerkstatt“ und wird von Frank Schaal liebevoll als „Licht-Junkie“ vorgestellt. Der Licht-Junkie platziert gleich zur Begrüßungseinen Lichtkoffer, eine längliche und silbern glänzende Konstruktion, in der verschiedene Beleuchtungssysteme auf ihre Anfälligkeit für Lichtflimmern getestet werden.
Es geht dabei um Schwankungen in der Helligkeit, die der Mensch optisch gar nicht wahrnimmt, aber über die Augen ans Gehirn zur Stressbildung weitergeleitet werden. Als erstes kommt eine billige Leuchtstoffröhre dran. Heftiges Flimmern ist auf Günter Gdanietz‘ Handykamera zu sehen, und noch unangenehmer ist das enervierende Geräusch, das sein akustisches Lichtmeter im Klubhaus verreitet. Ähnliches erfolgt bei einer Discount-LED-Röhre. Erst beim dritten Probanden, einer Röhre aus dem gehobenen Sortiment, geben Handy und Lichtmeter Ruhe. So schreibt es die Ökodesign-Verordnung seit 2021 vor. „Aber Sie glauben gar nicht, was so alles in großen Märkten verkauft wird“, sagt Günter Gdanietz, und man würde schon ganz gern mal dabeisein, wenn er durch ein Kaufhaus spaziert und sein Lichtmeter aufheulen lässt.
Was daraus folgt, liegt auf der Hand. Qualität hat ihren Peis und ist ihn auch wert. Zu diesem Thema referiert Günter Manske, er berät hauptberuflich beim Einkauf für Leuchtmittel und verweist darauf, dass Unternehmen seit diesem Jahr dazu verpflichtet sind, auf energiesparende Beleuchtung umzustellen. „Besser nicht zu lange warten“, empfiehlt Günter Manske. Für alte Systeme gibt es nur noch vereinzelt Restposten im Lager. Billiger werden die Neuanschaffungen eher nicht, große technische Verbesserungen sind auch nicht zu erwarten. Und wer weiß, wie lange es noch staatliche Förderungen gibt.
Auf diesem Gebiet kennt sich Reinhard Gütz von der REIMA GmbH bestens aus. Er ist Diplom-Ingenieur und verweist einschränkend drauf, „dass nur gewerbliche Einrichtungen gefördert werden, keine Privathaushalte“. Zuständig für staatliche Förderung ist die BAFA, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Die BAFA bietet verschiedene Pakete an, alle setzen sie voraus, dass die geförderten Beleuchtungssysteme einen gewissen Qualitätsstandard einhalten. Und es kann ein bisschen dauern mit der Bearbeitung, „aber wenn alle Anforderungen eingehalten werden, wird auch gefördert“, sagt Reinhard Gütz. Ich persönlich habe noch nicht erlebt, dass ein ordnungsgemäß ausgefüllter Antrag abgelehnt wird.“
Als er das erzählt und gemeinsam mit Frank Schaal, Kai Kummert und den beiden Günters Manske und Gdanietz den RegioTALK im Podiumsgespräch ausklingen lässt, bricht schon der Abend an in Schlachtensee. Kurz vor halb neun, die Zeit ist quasi in Lichtgeschwindigkeit vergangen, aber immer noch hat keiner die Deckenbeleuchtung im Klubhaus 14 eingeschaltet. Denn durch die Panoramafenster blinzelt zuverlässig die Sonne herein, das schönste, natürlichste und gesündeste Licht des Planeten.
Fotos: Lalida Große
von Sven Goldmann
Christian Tänzler ist mit dem Fahrrad gekommen. Wie sich das so gehört für einen Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der beim 9. RegioTalkdes RIK Südwest (der dieses Mal in Zusammenarbeit mit dem Tourismusdialog BerlinBerlin veranstaltet wurde) im Gutshaus Steglitz über Radtourismus reden will. „Schade, dass es hier keine Radabstellanlage vor der Tür gibt“, sagt Tänzler zur Begrüßung zum RIK-Chef Professor Frank Schaal, aber auch das mag seine Laune kaum trüben. Die Sonne strahlt mit dem Kronleuchter im Rokokosaal des Gutshauses um die Wette, und passend zu diesem perfekten Radfahrwetter hat Christian Tänzler beeindruckende Zahlen mitgebracht. 4,6 Millionen Menschen haben in Deutschland im vergangenen Jahr eine Radreise unternommen, mit mindestens drei Übernachtungen, dazu kommen noch einmal 38 Millionen Tagesausflüge. In den Zeiten der Pandemie sind die Leute verstärkt aufs Rad gestiegen. „Es war nicht alles schlecht an Corona“, sagt Christian Tänzler, und da lacht auch die Steglitz-Zehlendorfer Bürgermeisterin Maren Schellenberg, sie sitzt vorn in der dritten Reihe rechts.
Warum radeln immer mehr Deutsche? Und das sogar in Großstädten wie Berlin, wo die vielen Autos auf den ersten Blick nicht gerade dazu einladen. Christian Tänzler sagt dazu erstmal, dass er gar nichts gegen das Auto habe, „denn die Verkehrswende schaffen wir nur, wenn wir gemeinsam arbeiten“. Außerdem gebe es nicht nur den einen spezifischen Radtourismus, sondern eine ganze Reihe davon. Radtouristen wollen mehr von Land und Leuten sehen, und das möglichst günstig. Sie wollen aktiv im Urlaub sein, etwas für die Gesundheit tun, gern auch mit dem Lastenrad, dem E-Bike oder dem Gravelbike, einer Art Hybrid zwischen Mountainbike und Rennrad, dem neusten Trend auf einem ständig wachsenden Markt. Und sie wollen auch Städte besser kennenlernen, ganz besonders so aufregende wie Berlin, und das über Fernsehturm, Brandenburger Tor und Reichstag hinaus. An diesem Punkt kommt Antje Boshold ins Spiel.
Antje Boshold ist Projektkoordinatorin im Berliner Zentrum Industriekultur (bzi). In ihrem anregenden Vortrag schwärmt sie vom Charme des riesigen Freilichtmuseums der Industriekultur, denn genau das ist Berlin, auch wenn es kaum jemand weiß. Die Elektropolis Berlin hat ihre großen Tage hinter sich, aber ihre Hinterlassenschaften sind immer noch zu bestaunen. Zum Beispiel auf fünf Fahrradrouten, das bzi hat sie mit jeweils 20 bis 25 Kilometer Länge konzipiert und erzählt dabei spannende Geschichten von Spandau bis Oberschöneweide, von Wedding bis Tempelhof.
Nun gibt es wahrscheinlich nicht allzu viele Leute, die früh morgens aufwachen und sich denken: Heute besichtige ich mal die Industriekultur! Aber in Kombination mit einer Radtour sieht das schon ganz anders aus. „Auf diesem Weg können wir ein breiteres Publikum ansprechen“, sagt Antje Boshold. „Ich bin Berlinerin und dachte immer, dass ich meine Stadt ganz gut kenne. Aber durch die Touren habe ich so viele tolle Gebäude erst richtig verstehen gelernt. Wussten Sie, dass zum Beispiel die Volksparks nur durch Industrialisierung entstanden sind, weil die Arbeiter sich ja auch irgendwo erholen mussten? Es gibt so viele interessante Querverweise!“ Merke: Man sieht nun, was man weiß!
90 magische Orte finden sich auf den fünf Routen. Etwa der AEG-Versuchstunnel am Humboldthain, das Umspannwerk Scharnhorst oder der Gasometer Fichtestraße, alles Etappenziele von Tour Nummer 1, die nicht zufällig den schönen Namen „Warmes Licht und kühles Bier“ trägt, denn auch der kulinarische Teil soll nicht zu kurz kommen. 35 ausgesuchte Gaststätten säumen die Routen. In nicht allzu ferner Zukunft soll das Projekt in einer Europäischen Radroute der Industriekultur von Frankreich über Deutschland nach Polen aufgehen, die Planung läuft.
„Was gibt’s denn da bei uns im Südwesten“, will eine Frau aus dem Publikum wissen, und Antje Boshold erzählt begeistert von einer Route entlang des Teltowkanals, „und der Grunewald kommt auch noch dran“, aber darüber soll jetzt noch nicht zu viel verraten werden. Im abschließenden Podiumsgespräch mit Michael Pawlik, dem Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, und Dirk Wetzel, Teamleiter bei der Tourismus-Marketing Brandenburg, diskutiert das Publikum so intensiv und leidenschaftlich wie selten bei den gewohnt intensiven und leidenschaftlichen Diskussionen des RegioTALKs. Gegen Ende der Veranstaltung, als schon fast alle Fragen beantwortet sind, schaut der ADFC-Bundesvorstand hinaus aus dem östlichen Flügelfenster des Gutshauses, vor dem doch tatsächlich ein paar Räder in einer bestens dafür geeigneten Anlage abgestellt sind. Christian Tänzler lächelt und schickt eine gespielte Entschuldigung hinüber zum RIK-Chef Frank Schaal. Was für ein gelungener Abend!
Fotos: Michael Pawlik
von Sven Goldmann
Irgendwas fehlt. Oben leuchten die Sterne, immer zahlreicher, immer heller. Das Publikum hält den Atem an, es genießt den ungewohnten Anblick und freundet sich langsam an mit dem Gedanken an ein Hinübergleiten in ein leichtes Vorabendschläfchen. Bis die Regie auf einmal das Licht einschaltet. Das ist ein wenig schade um das so plötzlich verschwindende Schauspiel am künstlichen Firmament, hilft aber weiter zu einer erhellenden Erkenntnis: Ohne Sonne ist alles nichts! Was für ein gewaltiger Schatz an Energie erleuchtet uns jeden Tag! Und: Machen wir wirklich genug daraus?
Genau darum geht es im 8. RegioTalk des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK), er gastiert an diesem Frühlingsabend auf einer ganz besonderen Bühne: RIK-Chef Prof. Frank Schaal hat in das Planetarium am Insulaner geladen. Im Kuppelsaal am Fuß des ältesten Berliner Trümmerbergs debattiert er mit ausgewiesenen Experten über „Solarenergie made in Berlin – Potenziale und Herausforderungen“. Davon gibt es allerlei. Frank Schaal erzählt von seinen Fahrten mit der S-Bahn durch Berlin, „wenn ich da aus dem Fenster schaue, sehe ich an den Häusern nur sehr wenige Photovoltaik-Anlagen. Wie lässt sich das ändern?“ Gute Frage, entgegnet Berit Müller, „das funktioniert am besten über die Mieter. Die müssen auf die Eigentümer zugehen, und die sprechen dann uns an.“
Als Projektleiterin beim SolarZentrum Berlin plant Berit Müller nicht weniger, als Berlin zur deutschen Solarhauptstadt zu machen. Es geht ihr darum, das Ausbautempo bei Solar-Anlagen zu erhöhen, neue Potenziale nicht nur aufzuzeigen, sondern auch zu erschließen. Das SolarZentrum versteht sich als Beratungsstelle vor allem für Gewerbetreibende. Wer weiß schon, dass zur nachhaltigen und umweltfreundlichen Stromerzeugung nicht nur nach Süden ausgerichtete Dächer ihren Beitrag leisten können. Oder wie das mit den Fördersätzen für die Netzeinspeisung und der Vermarktung des sonnigen Stroms richtig funktioniert. Ein für die Solarcity an der Spree entworfener und von der Fraunhofer-Institut für realistisch befundener Masterplan sieht vor, dass bis zum Jahr 2035 ein Viertel des Berliner Stroms aus der Sonne ins Netz eingespeist wird.
Das ist ein ehrgeiziger Plan, der nicht so recht passen will zur politischen Stimmung in der Stadt in der Folge des gerade erst dramatisch gescheiterten Volksentscheids über ein klimaneutrales Berlin vom Jahr 2030 an. Auch das offiziell anvisierte Jahr 2045 ist ambitioniert, „aber nicht ambitioniert genug“, findet Dr. Kirsten Kubin von der Koordinierungsstelle für Energieeffizienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK). Die KEK berät bevorzugt kleinere und mittlere Unternehmen in Sachen Energieeffizienz und Klimaschutz. „Wir wollen die Unternehmen dort abholen, wo sie aktuell stehen. Und wir wollen ihnen dabei helfen, weiterzukommen“, etwa durch den Transfer von Wissen und durch neue Formate, die den Austausch und die Vernetzung der Unternehmen untereinander vorantreiben. „Wir beraten auch gern vor Ort“, sagt Kirstin Kubin und hat auch gleich ein passendes Beispiel zur Hand: einen Konditoreibetrieb, der nach eingehender Beratung die Abwärme seines Ofens und der Kältemaschine jetzt zur Warmwasseraufbereitung und für Heizungszwecke nutzt.
Es ist exakt dieser Ansatz, den der RIK-Chef Frank Schaal an diesem Abend vertiefen will. Natürlich sei es wichtig, „dass wir ins Machen kommen. Aber noch wichtiger ist, dass wir wissen, wie man es richtig macht“. Da gibt es noch einigen Aufklärungsbedarf. In der allgemeinen Wahrnehmung reduziert sich etwa die Erzeugung von Solarenergie auf das Bild von schwarzen Photovoltaik-Modulen auf Dächern oder vormaligen Äckern. Wie viel mehr da heute schon möglich ist, erklärt Thorsten Kühn am Beispiel der „Bauwerkintegrierte Photovoltaik“, kurz BIPV. Thorsten Kühn forscht am Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie und macht sich dort um die Ausschöpfung von Potenzialen in und an der Gebäudehülle verdient. Kühns Botschaft lautet: „Photovoltaik findet nicht nur auf dem Dach eines Gebäudes statt. Sondern auch an seiner Fassade, an Überkopfverglasungen oder an Brüstungselementen.“ Besonders schön zu sehen ist das im sogenannten Reallalbor des Instituts in Adlershof, dem Silicon Valley von Berlin. Das Reallabor ist ein Forschungsbau mit einer Photovoltaikfassade. Ein nur auf den ersten Blick unscheinbarer grau-blauer Bau, er ermöglicht der Wissenschaft Praxiserfahrungen über das Verhalten von Solarmodulen und des gesamten Photovoltaik-Fassadensystems bei verschiedenen Jahreszeiten und Witterungsbedingungen. 120 Messstellen und Sensoren in der PV-Fassade erfassen die solare Einstrahlung und allerlei andere Messgrößen.
Die Technologie von morgen findet nicht nur in der Forschung Anwendung. Thorsten Kühn hat Fotos mitgebracht und wirft sie an das Firmament des Planetariums. Dort leuchtet ein mit weißen Fassaden-Platten ausgestattetes Wohnhaus in Uppsala. Ein golden schimmernder Gewerbebau in Zürich. Ein rot-grün-blau verglastes Parkhaus in Göteborg. Und, besonders spektakulär: Das mit bunten und raumhohen Glasfassaden geschmückte Swiss Tech Convention Center in Lausanne. Alles Kunstwerke im sonnigen Dienst einer umweltfreundlichen Stromerzeugung. Wieder hält das Publikum den Atem an. Aber keiner denkt mehr an ein Schläfchen.
Fotos: © www.der-gottwald.de
von Sven Goldmann
Kurz vor Schluss gibt es noch eine Frage aus dem Publikum. Um die 80 Frauen und Männer sind es an diesem Montag, als der Frühling offiziell Einzug hält in Berlin und einen Anflug von Freiluftlust bis hinauf in die Dachetage des Goerzwerks verbreitet. Zwei Stunden lang haben die Interessierten im Club Goerzwerk den Experten vorn auf der Bühne gelauscht und sich damit vertraut gemacht, wie so etwas wie biologische Vielfalt auch im steinernen Berlin Wirklichkeit werden könnte. „Stadtökologie oder wie Gärten erlebbar sind“, lautet das Thema beim siebten RegioTalk des Regionalinkubators Südwest, moderiert von Cornelis Hemmer, dem Gründer der Stiftung für Mensch und Umwelt. Auf besonderes Interesse stößt dabei das Projekt Waldgarten, und genau darauf zielt diese Frage kurz vor Schluss ab.
Es geht dabei um die nachhaltige Anpflanzung kleiner ökologischer Reservate in der Stadtlandschaft, um die Sorge, dass im halböffentlichen Raum essbare Früchte allzu früh abgeerntet werden können. Das wiederum könnte zu einem unbefriedigenden Ertrag führen – und damit im schlimmsten Fall nicht auch zum Entstehen zu vernachlässigender Stadtbrachen? „Wäre es denn nicht besser, beim Anbau von Pflanzen in den Waldgärten den ästhetischen Reichtum der Pflanzen in den Vordergrund zu stellen?“
Guter Einwand, findet Jennifer Schulz, sie arbeitet an der Universität Potsdam im Institut für Umweltwissenschaften und Geographie. Die Frage aus dem Publikum berührt das Grundverständnis der Stadtökologie und den tieferen Sinn dahinter, nämlich die lebenswerte Gestaltung des städtischen Raums über Kino, Theater, Kneipe hinaus, aber dazu später mehr.
Was sind Waldgärten überhaupt? Das zu definieren dürfte nicht nur dem Publikum im Goerzwerk schwerfallen, denn allzu verbreitet sind Waldgärten in Berlin noch nicht. Es gibt hier genau einen, angesiedelt in Britz, gar nicht so weit entfernt vom steinernen Ungetüm der Gropiusstadt. Hier die Zusammenfassung eines kurzen Grundsatzreferats von Jennifer Schulz: Ein Waldgarten ist kein Garten im Wald, sondern ein Stück Wald in der Stadt. Er besteht aus bis zu sieben Schichten vorwiegend essbarer Pflanzen, etwa Obstbäumen, Sträuchern, Kräutern oder Gemüsepflanzen. Alle werden sie so kombiniert, dass sie miteinander gedeihen und geerntet werden können. Biologisch gesehen fördern Waldgärten die biologische Vielfalt der Stadt, verbessern die Klimabilanz und schützen den Boden. Darüber hinaus haben Waldgärten aber auch eine soziale Funktion, denn durch die Einbeziehung der interessierten Nachbarschaft schaffen sie durch gemeinschaftliches Gärtnern neue Strukturen und ein Bewusstsein für den Umgang mit der Natur. Erste Erfolge können schnell zu sehen sein, aber ein nachhaltiger Waldgarten entsteht nicht von heute auf morgen. Richtig verstanden und umgesetzt ist das Projekt auf Jahrzehnte angelegt und schafft dabei, was Jennifer Schulz eine „essbare Wildnis nennt“ – wobei der Terminus „Wildnis“ als Gegensatz zu allem künstlich Gezüchteten zu verstehen ist.
In diesem Sinne preisen auch die weiteren Referenten dieses überaus anregenden Abends ihre Projekte an. Dominik Jentzsch von der Stiftung für Mensch und Umwelt macht sich für ein Konzept der „moderierten Wildnis“ stark und erläutert, warum im öffentlichen Grün der Verzicht auf Insektizide, Herbizide und Mineraldünger so sinnvoll ist – auch wenn das Ergebnis nicht immer dem entspricht, was die traditionellen Leitlinien als „ordentliche Grünanlage“ definieren. Michaela Shields vom Wissenschaftsladen Bonn informiert über PikoParks, auch sie bieten wie die Waldgärten eine Verbindung zwischen sozialen Bedürfnissen im Wohnumfeld und einer Stärkung der biologischen Vielfalt, nur eben eine Nummer kleiner. Einen ersten Berliner PikoPark hat die Stiftung für Mensch und Umwelt gemeinsam mit der Baugenossenschaft Freie Scholle in Reinickendorf angelegt. Noch ein bisschen kleiner macht es Corinna Hölzer, sie hat gemeinsam mit Cornelis Hemmer die Stiftung für Mensch und Umwelt gegründet. Für ihre „Trittsteinbiotope“ wirbt sie vielsagend mit dem schönen Claim „Kleinvieh macht auch Mist“. Und Bettina de la Chevallerie von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 arbeitet daran, mehr heimische Wildpflanzen in die in die hiesigen Gärten zu bringen. Dabei hat sie vor allem die entsprechende Ausstattung der Gartenmärkte im Blick, denn von irgendwoher müssen die städtischen Gärtner ja ihr Saatgut bekommen. Ziel sei es, „heimische Wildpflanzen zurück in unsere Gärten zu bringen“.
Genau das ist der Punkt für Jennifer Schulz bei der Beantwortung der eingangs gestellten Frage, ob denn Waldgärten unbedingt mit essbaren Pflanzen ausgestattet sein sollten. Ja, sollten sie! Denn Waldgärten stehen wie die gesamte Stadtökologie nicht nur für einen biologischen, sondern auch für einen sozialen und darüberhinaus für einen geradezu anthroposophischen Ansatz. „Mit den Stadtgärten wollen wir auch dazu beitragen, unsere Städte wieder essbar zu machen“, sagt Jennifer Schulz. „Wir können doch nicht über Nachhaltigkeit reden und von überall Lebensmittel einfliegen.“ In diesem Sinne gehe es ihr nicht darum, die Stadt über Waldgärten zu versorgen. Aber es könnte durchaus ein Bewusstsein für regionale Lebensmittel geschaffen werden. Und wenn die Stadtökologie dazu ihren Beitrag leistet, ist doch schon viel erreicht. Dieser Abend hat dazu beigetragen, wie der Beifall im Goerzwerk zeigt.
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von Sven Goldmann
Später am Abend kommt eine Frage aus dem Publikum, die Heskel Nathaniel in Verzückung versetzt. 90 Minuten lang hat der Berliner Unternehmer schon geredet, über einen anderen, einen spirituellen Weg zum Erfolg. In jeder Sekunde seines Vortrages sind ihm Spaß und Begeisterung von den Lippen abzulesen, aber es geht immer noch ein bisschen mehr. Um kurz vor acht also meldet sich eine Frau aus der dritten Reihe im prächtigen Saal des Kabbalah Centers an der Schöneberger Hauptstraße. Es geht ihr um die zuvor von Nathaniel skizzierten Parallelen der Kräfte des Universums zu menschlichem Verhalten, vor allem um die ausgleichende Kraft des Widerstands der Neutronen in der Auseinandersetzung von Protonen und Elektronen.
Das klingt komplizierter, als es ist. Heskel Nathaniel meint: Nichts passiert ohne Grund, jeder hat seine Rolle im Prozess. In diesem Sinne hakt die Frau in der dritten Reihe nach: „Welchen Wert haben denn die Widerstände, die jeder einzelne von uns in sich spürt?“ Da hebt der Mann auf der Bühne die Arme und verneigt sich im Geist. Genau daran hängt das Geheimnis des Erfolges, wie er ihn definiert. Heruntergebrochen auf drei Sätze lässt sich Nathaniels Philosophie ungefähr so definieren: Ich darf nicht nur auf mein Ego hören und mir bedingungslos das nehmen, was ich unbedingt will! Ich muss widerstehen und bedenken, ob auch andere von meinem Verhalten profitieren! Denn wer nur an sich denkt, wird keinen nachhaltigen Erfolg haben!
Ungewöhnliches geschieht bei diesem 6. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK), den Professor Frank Schaal diesmal im nördlichen Exil an der Schöneberger Hauptstraße moderiert. Nathaniel hat das Kabbalah Center vor sieben Jahren gegründet. Es ist eine der vielen Erfolgsgeschichten des erfolgreichen Unternehmers, der in der Berliner Wirtschaftswelt als Co-Founder und CEO der Trockland Management GmbH bekannt ist. Heskel Nathaniel entwickelt Immobilien und lebenswerte Räume, etwa das Pier 61|64 an der East Side Gallery oder das Eiswerk an der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte. Sein Geschäftsvolumen umfasst geschätzt 2,5 Milliarden Euro, aber davon redet er an diesem Abend nicht. Er nennt keine einzige Zahl, führt keine Bilanzen an und keine Business-Strategien, wie sie in der Welt der Hochfinanz gelehrt werden.
Heskel Nathaniel verfolgt einen anderen Ansatz. Einen, der seinen Ursprung in der Spiritualität hat, im Gegensatz des Geistlichen zum Materiellen. Gleich zum Beginn seines Vortrags fragt er in die 80-köpfige Runde: „Was sind Ihre Ziele im Leben?“ Die Antworten sind naheliegend: Erfolg! Glück! Sicherheit! Freiheit! Selbstverwirklichung! Und, natürlich: Liebe! Nathaniel nickt zufrieden. Die ganze Bandbreite menschlicher Erfüllung, „und wissen Sie, was all diese Ziele gemeinsam haben? Nichts davon ist materiell! Wir leben in einer physischen Welt. Aber was wir suchen, ist nicht physisch!“ Der Wert der Spiritualität besteht auch darin, dass mit Geld allein nicht zu kaufen ist. Niemand kann Erfolg, Glück oder Liebe einfach mitnehmen und in einen Schrank sperren. Sie wollen jeden Monat, jeden Tag, jede Stunde aufs Neue erobert werden.
Von dieser Erkenntnis ist es nicht mehr weit zu den Kräften des Universums, zu Protonen, Elektronen und den Neutronen mit ihrem verbindenden Widerstand. Daraus leitet sich das unternehmerische Erfolgsgeheimnis des Gebens und Nehmens ab. Heskel Nathaniel erzählt dazu eine Geschichte, sie handelt von einem König, der zur Einweihung eines Tempels ein großes Fest gibt. Er will dazu auch eine gute Tat begehen und verfügt, dass das Büffet von einem Bettler eröffnet werden müsse. Der Bettler ist schnell gefunden, aber er mag einfach nichts essen von den aufgetischten Köstlichkeiten. Unruhe macht sich breit im Saal. Die edlen Gäste haben Hunger, aber sie dürfen sich eben erst bedienen, wenn der von der Straße geholte Bettler den Anfang gemacht hat. Der sagt schließlich nach immer flehentlicher werdenden Bitten: „Na schön, dann werde ich Ihnen etwas Gutes tun und eine Kleinigkeit essen.“ Der tiefere Sinn liegt auf der Hand. Der Übergang vom Geben zum Nehmen ist fließend und lässt sich diametral entgegengesetzt interpretieren, ganz im Sinne der Kräfte des Universums.
Heskel Nathaniel reicht die Botschaft weiter an das Publikum: „Fragen Sie sich immer: Bin ich Elektron oder Proton? Bin ich Gebender oder Nehmender?“ Und, daran anschließend: Wie tarieren die Kräfte der Neutronen diese beiden Pole aus? So, wie es die Frau aus der dritten Reihe im prächtigen Saal des Kabbalah Centers gefragt hat: „Welchen Wert haben die Widerstände, die jeder einzelne von uns in sich spürt?“ Deshalb reagiert Heskel Nathaniel so verzückt. Er spürt: Das Publikum hat ihn verstanden.
Fotos: © www.der-gottwald.de
Der fünfte RegioTalk befasste sich mit Mobilität in der Stadt und deren Herausforderungen. Ein sehr komplexes Thema, das viele unterschiedliche Aspekte beinhaltet. Einige Zukunftsaspekte wurden von drei Referenten mit unterschiedlichen Schwerpunkten beleuchtet.
von Sven Goldmann
Ganz zum Schluss meldet sich noch eine Dame aus dem Publikum. Sie ist schon etwas älter und hat beim 5. RegioTALK des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) zwei Stunden lang interessiert zugehört, wie sich die Herren auf der Bühne sich das so vorstellen mit der „Mobilität der Zukunft“. Viel mehr Fahrräder, viel weniger Autos und gar keine Verbrennungsmotoren mehr. Alles schön und gut, findet die Dame, „aber was ist mit Leuten wie mir?“ Soll sie denn noch mit 80 auf dem Lastenrad zum Arzt oder zum Einkaufen fahren?
Das ist der Punkt, an dem solche Diskussionen oft scheitern. An einer Zukunft, die vermeintlich nur für jüngere Menschen geplant wird, obwohl die Gesellschaft immer älter wird. Lars Zimmermann pariert den als Frage verpackten Einwand so elegant, wie er den gesamten Abend über gehandhabt hat. Natürlich gehe es bei der Mobilität der Zukunft nicht darum, das Auto abzuschaffen. „Aber wir müssen den öffentlichen Raum neu verteilen, die Pyramide auf den Kopf stellen.“ Das mit der Pyramide ist ein schönes Bild: Bisher stand das Auto einsam an der Spitze, um die Plätze darunter balgten sich Fußgänger, Fahrräder, Scooter. So kann es nicht weitergehen. Knapp elf Milliarden Menschen werden zur nächsten Jahrtausendwende auf der Erde leben, in ihrer überwiegenden Mehrheit in Städten. Die Sättigung der Straßen mit Blech stößt an ihre Grenzen.
Lars Zimmermann kommt aus Hamburg, er hat vor zwei Jahren das Unternehmen „Cities for Future“ gegründet und vorher acht Jahre lang selbst in der Zukunft gelebt. In den Niederlanden, wo die Verkehrswende schon eingeleitet ist. Weil nichts so plakativ wirkt wie der Gegensatz von vorher und nachher, hat Zimmermann Fotos mitgebracht. Die knapp 100 Besucher im Club Goerzwerk staunen über den Wandel, den das Straßenland nehmen kann, wenn das viele Blech weg ist. In Amsterdam, Barcelona oder Kopenhagen haben die Menschen den öffentlichen Straßenraum zurückerobert, ihn grüner, luftiger, gefahrenloser, kurz: lebenswerter gemacht. Ein Anflug davon war in Berlin zu Corona-Zeiten zu erleben, als kaum Autos unterwegs waren und der Senat die Gelegenheit nutzte zur Anlage von Pop-up-Radwegen. Kostenpunkt: geschätzt 10-50 Tausend EUR/km. Für die gleiche Summe bekommt man sechs Zentimeter der geplanten Autobahn durch Friedrichshain und Lichtenberg.
Wie verläuft der Weg in eine urbane Zukunft ohne Auto-Dominanz? „Über den Protest“, sagt Lars Zimmermann. „In Amsterdam haben die Bürger aufbegehrt. Und es geht darum, die Stadt für das Auto unattraktiv zu machen.“ In Barcelona haben die Stadtplaner sogenannte Superblocks angelegt, in denen man so lange im Kreis fährt, bis auch der letzte Auto-Aficionado die Lust verliert. Wo sind die Superblocks von Berlin, Hamburg, München? „Es ist die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden“, sagt Axel Quanz, „da müssen wir uns schon fragen: Haben wir die richtigen Instrumente?“ Neulich war er in einer Großstadt in NRW, die den Ausbau ihres Radnetzes plant. „Die reden da über 1,8 Kilometer, die sollen 2029 fertig sein. Warum ziehen sich unsere Entscheidungsprozesse so lange hin?“
Der Diplom-Ingenieur Quanz widmet sich mit seinem Büro „Quanz & Partner“ seit 2006 der Mobilität der Zukunft. Er hat die „Radrouten Südwest“ durch Steglitz-Zehlendorf mitkonzipiert und weiß aus eigener Erfahrung: „Berlin ist toll! Aber es ist noch toller, wenn man es mit dem Fahrrad erkundet.“ Auf diesem Gebiet kennt sich Jonas Kremer bestens aus, der dritte Experte der von RIK-Chef Prof. Dr. Frank Schaal moderierten Runde im Club Goerzwerk. Der Lastenrad-Pionier Kremer arbeitet mit der Firma „Isicargo“ daran, Berlin zu einer Stadt des pedalangetriebenen Transports zu machen. Ein Lastenrad sei nun mehr als nur das Transportmittel, mit dem die Prenzlauer-Berg-Muttis ihre Kinder zur Schule kutschieren. „Natürlich kann ich einen Betonmischer nicht mit Pedalen auf den Weg bringen“, sagt Jonas Kremer, „aber wie oft braucht man den wirklich? Die Müllentsorgung in Parks lässt sich auch über Lastenräder organisieren“, ebenso ein Großteil der täglichen Wege von Handwerkern. Kremer erzählt von seiner Mutter, „die hat sich gerade ein Lastenrad angeschafft und macht damit ihre berufsbedingten Hausbesuche“. Auch auf die Frage der älteren Dame aus dem Publikum hat er eine Antwort parat: „Zu einem Lastenrad gehören Fahrer und Passagiere.“ Soll heißen: Wer seine Großeltern als Rad-Gondoliere durch die Stadt schaukelt, macht sie glücklicher und gibt ihnen neuen Spaß am Leben.
Fotos: © RIK Berlin Südwest
Viel Raum für innovative Ideen – Der 4. RegioTALK am Lichterfelder „Mäusebunker“ zeigte Probleme und Lösungen für die ehemalige Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin der Charité auf.
Erstmals begrüßte der RIK Berlin Südwest am Freitag, den 09. Dezember 2022, seine wieder einmal sehr zahlreich erschienenen Gäste unter freiem Himmel zur vierten Veranstaltung seiner RegioTALK Reihe. Trotz eisiger Temperaturen versammelten sich knapp 60 Personen pünktlich um 12 Uhr in der Lichterfelder Krahmerstraße am Teltowkanal. Für den regen Zuspruch, trotz widriger Bedingungen, sorgte das Bauwerk, zu welchem die interessierten Teilnehmenden fortan ihren Blick richteten. Der „Mäusebunker“, wie die ehemalige Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin der Charité Universitätsmedizin Berlin im Volksmund genannt wird, zog mit seiner beeindruckenden Architektur die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich.
Kurzzeitig unterbrochen wurde das gemeinsame Beobachten und Austauschen der Gäste von den Grußworten von Prof. Dr. Frank Schaal, Leiter des Regionalinkubators Berlin Südwest (RIK) sowie Initiator der RegioTALK-Reihe, der die Besucher:innen am Objekt der Diskussion willkommen hieß. Diskussion war im Vorlauf und in der Folge der Veranstaltung auch das richtige Stichwort für den Umgang mit einem der äußerlich prägendsten Gebäude des Berliner Südwestens. Bis in das Jahr 2020 betrieb die Charité am Standort die Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin. Doch bereits seit dem Jahr 2012 und dem angekündigten Umzug des Instituts nach Berlin-Buch, war eine hitzige Debatte um die Nachnutzung des Gebäudes entbrannt.
Bevor jedoch im Rahmen eines Nachnutzungskonzeptes in die Zukunft des „Mäusebunkers“ geblickt wurde, berichteten Jochen Brinkmann (Leitung Geschäftsbereich Bau Charité Universitätsmedizin Berlin) und Dr. Christoph Rauhut (Landeskonservator und Direktor des Landesdenkmalamtes Berlin) beim Rundgang über das Gelände erst einmal aus der bewegten Geschichte des Gebäudes. Von seiner Errichtung, seiner Nutzung als Tierversuchsanstalt und mittlerweile als beliebte Filmkulisse, bis hin zum abgewendeten Abriss in den vergangenen Jahren.
Beim anschließenden Get-Together im angrenzenden Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité Berlin, führten die beiden Dozierenden noch einmal detaillierter in das Thema und die verbundenen Problemstellungen ein, ehe im gemeinsamen Austausch über mögliche zukünftige Nutzungskonzepte für den Standort am Hindenburgdamm beraten wurde. Die zwei größten Diskussionspunkte waren dabei, welche(s) Unternehmen oder welche Institution das 28.000 Quadratmeter umfassende Gelände wieder mit Leben füllen könnte, und wer im Zuge dieser Nutzung oder auf dem Weg dorthin die hohen Kosten für Instandsetzung und Betrieb des Areals tragen würde. Eine abschließende Lösung wurde zwar nicht gefunden, im Rahmen des „Modellverfahrens Mäusebunker“ werden jedoch bereits begonnene und zukünftig intensivierte Werkstattgespräche die Möglichkeiten der Nachnutzungen ausloten.
Der Regionalinkubator Berlin Südwest (RIK) bedankt sich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Nachmittags ausdrücklich für die gelungene Veranstaltung der RegioTalk-Reihe. Der nächste Termin wird am 16. oder 17. Januar 2023 zum Schwerpunkt „Mobilität der Zukunft“ stattfinden. Infos dazu unter www.rik-berlin.de.
Fotos: © RIK Berlin Südwest
Vorurteile überwinden und miteinander erfolgreich sein – Stärken der weiblichen Führung begreifen!
Gelungene Fortsetzung der RegioTALK-Reihe des RIK Berlin Südwest im Gutshaus Steglitz
Zur dritten Veranstaltung des vom interessierten Publikum immer wieder sehr gut angenommenen RegioTALK-Formats des RIK Berlin Südwest lud Projektleiter und Initiator Prof. Dr. Frank Schaal seine Gäste am Abend des 30. November erstmals in den festlichen Rokokosaal des Gutshaus Steglitz.
Getreu dem Motto des 3. RegioTALKS „Ladies First – Frauen in Führungspositionen“, legte der Hausherr nach einer kurzen Begrüßung die Leitung des Abends in die Hände von Unternehmerin Lara Boye. Die Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Artenglück, welches sich für vielfältige Naturschutzprojekte engagiert, dirigierte anschließend sehr kurzweilig durch die folgenden rund zweieinhalb Stunden.
Zum Auftakt führte Monika Ilves, Projektleiterin Digitale Transformation beim Institute of Electronic Business, mit einer Keynote in das Thema der Veranstaltung ein. Schwerpunkt ihres Vortrags waren die sich stark wandelnden Ansprüche und Erwartungen von jungen Talenten - im Vergleich zu vorangegangenen Generationen - am Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Anforderungen an Führungskräfte. Der Paradigmenwechsel, der sich in immer kürzeren Zyklen bewegt, reicht laut der Unternehmerin vom technologischen Wandel im Arbeitsalltag bis zu vollkommen überdachten Motivationsgrundlagen junger Arbeitnehmenden.
Die anschließende Talkrunde war besetzt durch Dr. Nicola Kleppmann (Geschäftsführerin KT Elektronik), Anja Ottersberg-Maenner (Regionalleiterin Nordost HDI Global SE), Vjollca Hajdari (Gründerin und Geschäftsführerin Globalingo Translations), Alexandra Knauer (Eigentümerin und Geschäftsführerin Knauer Wissenschaftliche Geräte) und Katharina Kwaschik (Geschäftsführerin der Shakespeare Company Berlin). Alle konnten bereits im Rahmen ihrer Vorstellung von teils bizarr anmutenden und aus der Welt gefallenen persönlichen Anekdoten aus ihrem Alltag berichten. Trotz unterschiedlicher Arbeitsfelder und voneinander unabhängiger Karrierewege sowie zum Teil generationenübergreifenden Arbeitens schienen sich viele Erfahrungen zu decken. Häufig sehen sich weibliche Führungskräfte mit Vorurteilen konfrontiert, werden sowohl als Person als auch im Rahmen ihrer Leistungen geringgeschätzt und müssen gegen Diskriminierungen verschiedenster Couleur ankämpfen, bis heute.
Auch wenn es im Hinblick auf diese Eindrücke noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten gilt, so konnte dennoch ein Konsens auf der Bühne gefunden werden, der die positiven Aspekte der Führungsarbeit in den Vordergrund stellt. Die Möglichkeit ein Geschäftsmodell zu prägen, Mitarbeitende zu entwickeln, sich selbst zu verwirklichen und dabei einen entscheidenden Beitrag für die erfolgreiche Zukunft eines Unternehmens zu leisten überwogen die negativen Erfahrungen um ein Vielfaches.
Und so wünschte sich das hochkarätig besetzte Podium zum Abschluss eines sehr beeindruckenden Abends für die Zukunft, dass eine stärkere gegenseitigen Unterstützung, die Förderung von Diversität sowie die Entfaltung der Gesellschaft hin zu mehr Offenheit als Chancen für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung im allgemeinen und in Unternehmen begriffen werden.
Der Regionalinkubator Berlin Südwest (RIK) bedankt sich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Abends ausdrücklich für eine wieder einmal sehr gelungene Veranstaltung der RegioTalk-Reihe. Wir freuen uns auf die zeitnah folgenden Events. Der nächste Termin wird am 9. Dezember stattfinden. Infos dazu unter www.rik-berlin.de.
Fotos: © Anusch Guyenz / Goerzwerk
„Gute Idee, gute Leute, gutes Netzwerk und gutes Geld“ – Der 2. RegioTalk des RIK Berlin Südwest findet die Erfolgsformel für junge Unternehmen
Nach der erfolgreichen Auftaktveranstaltung im September lud der Regionalinkubator Berlin Südwest (RIK) am Montag, den 17. Oktober zum zweiten RegioTALK in das Industriedenkmal Goerzwerk ein. Das Thema des RegioTALKs war dieses Mal „Start-Ups Berlin – Innovationen und Investitionen für die Zukunft“. Rund 50 Interessierte aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik folgten der Einladung des RIK Berlin Südwest, des Goerzwerks sowie der Berlin Partner GmbH in das besondere Ambiente des Club Goerzwerk.
Eröffnet wurde der Abend durch den Leiter des Regionalinkubators Berlin Südwest, Prof. Dr. Frank Schaal. Im Anschluss folgte ein Kurzvortrag von Andreas Hereth von Berlin Partner GmbH, der die Leistungen der Berliner Wirtschaftsförderung darstellte. Als Keynote folgte dann der Vortrag von Sebastian Britz, CEO des Berliner Tech-Start-Ups Digitty. Hier beleuchtete der bereits mehrfach erfolgreiche Gründer unter anderem das deutliche Gefälle zwischen den USA, China und Europa im Hinblick auf die Entwicklung des Technologiesektors, der Innovationspotenziale und der Wirtschafts- und Investitionskraft der Regionen. Sein Fazit lautete: In vielen Bereichen hinkt unser Kontinent der globalen Konkurrenz zum Teil weit hinterher, bemüht sich allerdings nachhaltig um Anschluss. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der zielgerichteten Ausbildung und im Recruiting von internationalen Fachkräften, was angesichts der weltweiten Nachfrage nicht ganz einfach ist.
Aufbauend auf diese spannende Einleitung pitchten nachfolgend die geladenen Start-Ups Max Resolution 3D, sblocs bikes, Artenglück, Karmakollektiv, RooWalk und iur.crowd ihre jeweiligen und vor allem innovativen Geschäftsideen. Darauf folgten in der anschließenden kurzen Pause bereits zahlreiche anregende Gespräche, welche sich nach der Beendigung des offiziellen Teils des Abends noch bis weit in die Nacht hinein vertiefen ließen.
Zum Highlight der Veranstaltung, der Podiumsdiskussion mit allen Akteuren des Abends, sprach Co-Gastgeber und Moderator Prof. Dr. Frank Schaal mit den Unternehmer:innen über ihre jeweiligen Motivationen, hilfreiche Unterstützungen vor, während und in der Folge des Gründungsprozesses sowie über anstehende Herausforderungen, welche es für die Markteinsteiger zukünftig zu meistern gilt. Alle Teilnehmenden stellten zuallererst eine tragfähige Geschäftsidee und viel Leidenschaft für die Sache an den Ausgangspunkt einer erfolgreichen Gründung. In der Folge bedarf es vorrangig eines guten Netzwerkes, guter Mitarbeitenden und nicht zuletzt einer ausreichenden finanziellen Ausstattung, um die Unternehmung wachsen zu lassen.
Der Regionalinkubator Berlin Südwest (RIK) bedankt sich bei allen Teilnehmer:innen des Abends ausdrücklich für eine wieder einmal sehr gelungene Veranstaltung der RegioTalk-Reihe. Wir freuen uns auf die zeitnah folgenden Events. Der nächste Termin wird am 30. November stattfinden. Infos dazu unter www.rik-berlin.de.
Fotos: © www.der-gottwald.de
"Use the Crisis" - 1. RegioTalk des RIK Berlin Südwest ein voller Erfolg
Rund 50 Unternehmer:innen waren in den frühen Abendstunden des 13. September der Einladung des Regionalinkubators Berlin Südwest unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Schaal gefolgt und erwarteten gespannt die Premiere der neuen Veranstaltungs-Reihe „RegioTalk“ des RIK. Zum Auftakt beschäftigte die zahlreichen Anwesenden das Thema „Gewerbe und Energie – Herausforderungen und Chancen im Zeiten des Wandels“.
Im überwältigenden Ambiente des sonnengefluteten „Club Goerzwerk“ im vierten Stock des Industriedenkmals an der Goerzallee, eröffnete Co-Gastgeber und Hausherr Silvio Schobinger den Abend. Nach der folgenden kurzen Begrüßung durch den Initiator des Abends, Prof. Dr. Frank Schaal, und die Berlin Partner GmbH, in Person des Bezirksverantwortlichen Andreas Hereth, übergab dieser das Wort an Frau Dr. Diana Woelki und Herrn Robert Viebig, welche, ebenfalls im Namen der Berlin Partner GmbH, einen kurzen Überblick über die derzeitigen, vorrangig energetischen, Fördermöglichkeiten für Unternehmen gaben.
Nach dem folgenden Impulsvortrag von Frau Dr. Kirsten Kubin von der Koordinierungsstelle für Energieeffizienz und Klimaschutz im Betrieb (KEK) zum Thema „Klimaneutralität durch Energieeffizienz im Unternehmen“, folgte mit der hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion der Hauptteil des Abends. Auf der Bühne nahmen, neben Referentin Dr. Kirsten Kubin, Goerzwerk-Eigentümer Silvio Schobinger und Moderator Prof. Dr. Frank Schaal, die Unternehmer:innen Holger Stabernack (Securenergy AG), Dr. Nicola Kleppmann (KT Elektronik), sowie Dr. Rainer Hönig (betteries AMPS GmbH) platz. Komplettiert wurde die ausgewählte Runde von Simon Margraf, Bereichsleiter Wirtschaft & Politik der IHK Berlin.
In der rund 90-minütigen Debatte sprachen die Diskussionsteilnehmer:innen über die vorrangig bürokratischen und nachgelagert materiellen Hürden bei der Umsetzung der allseits angestrebten, aber nur schleppend angegangenen Energiewende in Deutschland, über zukünftige Bedarfe im Hinblick auf die Versorgung mit Baustoffen und Energieträgern sowie den nachhaltigen Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen.
In einer abschließenden Fazit-Runde fanden die Redner:innen zu einer eindeutigen Schlussfolgerung: Die thematisierten Krisen sollen als Chancen genutzt, und im gemeinsamen Handeln gelöst werden. „Machen statt Meckern“ lautete das Motto der Runde. Dafür sei es notwendig, den Schritt vom Planungs-, hin zum Umsetzungsweltmeister zu gehen und selbst im kleinsten Detail einen Beitrag zur Lösung der gegenwärtigen Herausforderungen zu leisten.
Angenehm abgerundet wurde der interessante Abend von einem lockeren Get-Together der Diskussionsteilnehmer:innen und Gäste im Club Goerzwerk. Bei vielfältigen kulinarischen Genüssen wurden die Eindrücke des Abends noch einmal in angeregten Gesprächen rekapituliert und weitergeführt.
Der Regionalinkubator Berlin Südwest bedankt sich bei allen Teilnehmer:innen des Abends ausdrücklich für eine gelungene Auftaktveranstaltung der neuen RegioTalk-Reihe. Wir freuen uns auf die zeitnah folgenden Events.
Fotos: © Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin Wirtschaftsförderung / Tanyel Akbaba
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